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Der Bundesgerichtshof hat kürzlich entschieden, dass die Sammelklage eines Inkassodienstleisters gegen Air Berlin in Einklang mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz steht.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat Mitte Juli entschieden, dass die gebündelte Verfolgung von Ansprüchen gegen die insolvente Airline Air Berlin durch einen Inkassodienstleister zulässig war. Nun liegt das Urteil auch im Volltext vor.

Am 15. August 2017 hatte Air Berlin Insolvenz angemeldet. Kunden, die zwischen Mai und Juli 2017 Flüge bei der Airline gebucht und bezahlt hatten, die aufgrund der Insolvenz aber nicht mehr durchgeführt wurden, hatten ihre eventuellen Schadensersatzansprüche an einen Inkassodienstleister abgetreten, der ihre Forderungen vor Gericht geltend machen sollte. Den Kunden, die ihre Ansprüche an den Inkassodienstleister abgetreten haben, entstehen hierdurch keine Kosten. Der Inkassodienstleister erhält im Erfolgsfall allerdings 35 Prozent der Nettoerlöse aus den Forderungen.

Im Zentrum der Entscheidung stand die Frage, ob die Abtretung an den Inkassodienstleister überhaupt mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) vereinbar ist. Das Landgericht und das Kammergericht Berlin hatten die Klage in den Vorinstanzen abgewiesen, da sie das Geschäftsmodell des Inkassodienstleisters für unzulässig, die Abtretungen für nichtig hielten.

Anders der BGH. Dieser ist nun der Auffassung, dass die Tätigkeit des Inkasso-Unternehmens von seiner Befugnis gedeckt ist, Inkassodienstleistungen zu erbringen. Insbesondere stelle es kein Problem dar, dass die Dienstleistung von vornherein auch auf die gerichtliche Geltendmachung gerichtet sein sollte. Der Inkassobegriff im RDG umfasst nach dem BGH auch Geschäftsmodelle, die ausschließlich oder vorrangig darauf abzielen, Forderungen gerichtlich einzuziehen. Dies gelte auch im Fall des sogenannten „Sammelklage-Inkasso“.  Unter anderem ergibt sich dies, so der BGH, aus der Berufsausübungsfreiheit des Inkassodienstleisters gemäß Artikel 12 Absatz 1 Grundgesetz. Dadurch, dass für das gerichtliche Verfahren zwingend Rechtsanwälte einzuschalten sind, seien die Rechtssuchenden auch ausreichend vor unqualifiziertem Rechtsrat geschützt. Zusätzlich müssten die Inkassodienstleister vor ihrer Registrierung ausreichende Sachkunde im betroffenen Rechtsgebiet nachweisen. Der BGH hält weiter fest, dass „Anhaltspunkte dafür, dass durch die hier in Rede stehenden Inkassodienstleister in erheblichem Umfang von vornherein unberechtigte Klageverfahren eingeleitet werden, […] nicht dargelegt und im Hinblick auf die zwingende Beteiligung von Rechtsanwälten auch nicht naheliegend“ seien.

Ein weiteres Argument gegen die Zulässigkeit des „Sammelklage-Inkasso“ waren etwaige Interessenkonflikte auf Seiten des Inkassodienstleisters. Der BGH sieht dieses Risiko zwar, leitet hieraus jedoch keine Nichtigkeit der Abtretungen her: Ein Interessenkonflikt könnte darin liegen, dass der Dienstleister ein Erfolgshonorar und zugleich die Freihaltung der Geschädigten von etwaigen Kosten der Rechtsdurchsetzung vereinbart. Den Geschädigten wird zugesichert, dass ihnen keine Kosten für die Rechtsdurchsetzung entstehen. Der Dienstleister hat folglich ein Interesse an möglichst geringen Kosten für die Rechtsverfolgung und mag daher eher geneigt sein, beispielsweise einem frühen Vergleich zuzustimmen.

Ein weiterer Konflikt könnte sich daraus ergeben, dass das Geschäftsmodell auf die Bündelung und gesammelte Geltendmachung von Ansprüchen ausgerichtet ist. Dem Risiko, dass ein einzelner potentiell Geschädigter quasi zum „Wohle der Masse“ einen geringeren Erlös erzielt als bei individueller Geltendmachung, stehen dem BGH zufolge diverse Vorteile gegenüber, die sich durch eine Bündelung der Verfahren ergeben: niedrigere Gebühren beziehungsweise eine Deckelung der Gebühren, eine Streuung des Kostenrisikos einer etwaig vorausgegangenen Beweisaufnahme sowie eine erhebliche Stärkung der Verhandlungsposition. Auch könne dem genannten Risiko mit einer Gruppierung ähnlich gelagerter Ansprüche entgegengewirkt werden. Und wenn es gleichwohl zu der Situation kommt, dass ein Inkassodienstleister zum Nachteil seiner Kunden eigennützig seine Interessen verfolgt, so stünden diesen entsprechende Schadensersatzansprüche zu.

Im Ergebnis schloss der BGH: „Da dem Inkasso-Unternehmen mit dem Sammelklage-Inkasso kein Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz zur Last fiel, war die zwischen den Kunden von Air Berlin und der Klägerin vereinbarte Abtretung wirksam.“ Er hat daher das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das zuständige Gericht zurückverwiesen. Dieses muss nun darüber entschieden, ob der Vorwurf der Insolvenzverschleppung gerechtfertigt ist und ob die Kunden Anspruch auf Schadensersatz haben.

„Zahlreiche Instanzgerichte hatten in den letzten Jahren in verschiedenen Konstellationen die Nichtigkeit derartiger Abtretungen festgestellt. Die Rechtsunsicherheit war groß. Mit seinem Urteil schafft der BGH nun Klarheit“, so Johanna Weißbach, Expertin für Prozessrecht bei Pinsent Masons, der Kanzlei hinter Out-Law. „Sammelklagen, kollektiver Rechtsschutz und effektive Rechtsverfolgung sind in Deutschland und der Europäischen Union stark im Wandel. Rechtsprechung, Gesetzgeber und Politik geben im Wochentakt neue Impulse, auf die zu reagieren ist. Gelöst ist das Thema sicherlich noch lange nicht“, so Weißbach. Unter anderem ist ein neues Verfahren für Vorabentscheidungen durch den BGH bei Massenverfahren in der Diskussion. Auch die EU hat mit der Verbandsklagerichtlinie neue Regeln für Sammelklagen auf den Weg gebracht, die bis Mitte 2023 EU-weit umgesetzt sein und angewandt werden müssen.

Erst vor Kurzem hat zudem der Bundestag eine Reform des Berufsrechts für Anwälte und Inkasso-Dienstleister beschlossen, die der Anwaltschaft mehr Freiheiten einräumen und einen stärkeren Gleichlauf mit Inkassodienstleistern herstellen soll. Zum Schutz der rechtssuchenden Verbraucher werden allerdings auch die Hürden für die Inkasso-Dienstleister angehoben.

„Die Entscheidung des BGH wird den ohnehin schon rasanten Wandel im Rechtsdienstleistungs- und Rechtsberatungsmarkt weiter befeuern“, so Martin Eimer, Experte für Prozessrecht bei Pinsent Masons. „Mit dem für Rechtsdienstleister positiven Urteil wird die ohnehin bereits diskutierte Frage der Rolle des Anwalts im Massenklagegeschäft noch dringlicher. Es ist abzusehen, dass sich mit dem Phänomen und Bedarf der Geltendmachung von Massenschäden auch die Modelle anpassen und praktisch effizientere Möglichkeiten hierzu geschaffen werden. Das Thema bleibt für Kläger wie für potentiell Beklagte Unternehmen brandaktuell.“ 

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