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London oder Berlin? Warum der BGH die Air-Berlin-Beschwerde abwies


Im Rechtstreit zwischen dem Insolvenzverwalter von Air Berlin und Etihad hat der Bundesgerichtshof nun entschieden, die deutsche Klage auszusetzen, bis die englischen Gerichte die Frage der internationalen Zuständigkeit abschließend geklärt haben.

Am 15. August 2017 hat Air Berlin, die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft, Insolvenz beantragt – nur wenige Tage nachdem ihre Hauptaktionärin, die staatliche Fluggesellschaft Etihad Airways aus Abu Dhabi, die Auszahlung weiterer Kredite an Air Berlin gestoppt hatte. Hat Etihad die finanzielle Unterstützung der Air Berlin mit Recht eingestellt oder wäre Etihad verpflichtet gewesen, Air Berlin mit Krediten weiter zu finanzieren? Über diese Frage streiten sich Etihad und der Insolvenzverwalter der Air Berlin seit Jahren vor den Gerichten in Deutschland und England. Nach Ansicht des Insolvenzverwalters ist der Insolvenzmasse der Air Berlin durch das Verhalten von Etihad ein Schaden entstanden, den er auf knapp 500 Millionen Euro beziffert. Diesen Betrag verlangt er von Etihad als Schadensersatz für die Insolvenzmasse. Etihad hält die Forderung des Insolvenzverwalters für unberechtigt. Beide verklagten einander vor englischen und deutschen Gerichten. Wer Recht hat, ist immer noch nicht entschieden, denn erstmal müssen die englischen und deutschen Gerichte feststellen, welche Gerichte für die Klage international zuständig sind. Für die Klage des Insolvenzverwalters liegt jetzt eine Entscheidung des BGH vor, wonach die deutsche Klage ausgesetzt wird, bis die englischen Gerichte die Frage der internationalen Zuständigkeit abschließend geklärt haben.

Hintergrund der Klage

Etihad Airways, mit 30 Prozent die damalige Hauptaktionärin der Air Berlin, hatte die deutsche Fluglinie seit Jahren finanziell unterstützt und im April 2017 der Air Berlin ein weiteres Darlehen über 350 Millionen Euro zugesagt, das in mehreren Tranchen ausgezahlt werden sollte. Im Darlehensvertrag war vereinbart, dass zu Gunsten der Etihad die Gerichte in England für Streitigkeiten ausschließlich zuständig sind. Zeitgleich mit dem Darlehen hat Etihad gegenüber der deutschen Fluggesellschaft in einem „Comfort Letter“ erklärt, Air Berlin auch in Zukunft – für mindestens 18 Monate – die notwendige finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Der Comfort Letter enthielt selbst keine Regelung zur Zuständigkeit von Gerichten. Am 9. August 2017 wurde eine Darlehenstranche über 50 Millionen Euro fällig. Etihad zahlte nicht, sondern erklärte, dass Air Berlin keine weitere Unterstützung mehr erhalten würde. Wenige Tage später, am 15. August 2017, hat Air Berlin den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt.

Die Schulden der Air Berlin beziffert der Insolvenzverwalter derzeit auf etwa 500 Millionen Euro. Diesen Betrag verlangt er nun von Etihad ersetzt, weil Etihad eine Verpflichtung aus dem Comfort Letter gegenüber Air Berlin verletzt und den daraus entstandenen Schaden – die gesamten geschätzten Schulden der Air Berlin – zu erstatten habe.

Beim Landgericht Berlin liegt seit Juli 2018 die Schadensersatzklage des Insolvenzverwalters gegen Etihad vor. Etihad hat sich gegen die Klage des Insolvenzverwalters gewehrt und im Januar 2019 eine eigene Klage bei dem High Court of Justice in London erhoben. Etihad begehrt die Feststellung, dass dem Insolvenzverwalter gerade keine Ansprüche auf Schadensersatz zustehen. Da die Verträge eine Regelung zur Zuständigkeit der englischen Gerichte vorsahen, hat das Berliner Gericht die deutsche Klage unter Verweis auf das Parallelverfahren in London ausgesetzt. Hiergegen zog der Insolvenzverwalter bis vor den BGH.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH entschied, dass das Landgericht Berlin die deutsche Klage zu Recht ausgesetzt hat. Da der Vertrag zwischen Etihad und Air Berlin eine Vereinbarung über die Zuständigkeit der englischen Gerichte vorsieht, seien vorrangig die englischen Gerichte dafür zuständig, über die Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung zu entscheiden. Dies gelte auch, wenn es sich nur um eine einseitige Gerichtsstandsvereinbarung handelt.

Der Insolvenzverwalter konnte sich nicht auf eine besondere Zuständigkeit der deutschen Gerichte wegen des in Deutschland geführten Insolvenzverfahrens berufen, da die Klage des Insolvenzverwalters auf der vertraglichen Vereinbarung zwischen Etihad und Air Berlin und nicht auf dem Insolvenzverfahren beruht.

Bei Streitigkeiten aus einem Vertrag gilt stattdessen die EU-Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelsrechtssachen (EuGVVO). Diese Verordnung sieht vor, dass die Klage von Etihad in London – am Ort, der als Gerichtsstand für Streitigkeiten für Etihad vereinbart worden ist –  Vorrang hat vor der Klage des Insolvenzverwalters in Berlin. Obwohl der Insolvenzverwalter die deutsche Klage früher eingereicht hat, müssen die deutschen Gerichte die vertragliche Regelung von Air Berlin und Etihad über die Zuständigkeit der Gerichte Englands respektieren. Deswegen, so der BGH, hatte das Landgericht Berlin die deutsche Klage zu Recht ausgesetzt, so dass die hiergegen gerichteten Beschwerden des Insolvenzverwalters ohne Erfolg blieben.

Wie die Entscheidung des BGH zeigt, ist es Etihad gelungen, mit ihrer Klage in London die deutschen Gerichte dazu zu zwingen, die Klage des Insolvenzverwalters auszusetzen. Diese Art von Klage ist als „umgekehrte Torpedoklage“ bekannt: Als Torpedoklage bezeichnet man negative Feststellungsklagen, die erhoben werden, um einer Klage der Gegenseite in einem anderen Mitgliedsstaat zuvorzukommen und diese zu blockieren. Ein weiteres Motiv für eine Torpedoklage ist es, das Verfahren vor ein dem eigenen Anliegen vermeintlich wohlgesonnenes Gericht zu bringen. Etihad hat einen „umgekehrten Torpedo“ abgeschossen, indem die Etihad-Klage zwar später, aber vor dem gemäß Gerichtsstandsvereinbarung zuständigen Londoner Gericht erhoben worden ist, um so die Klage des Insolvenzverwalters zu blockieren.

Die Entscheidungen der deutschen Gerichte stehen im Einklang mit den Entscheidungen des High Court und des Court of Appeal im englischen Klageverfahren der Etihad gegen den Insolvenzverwalter.

Auswirkung des Brexit?

Sowohl die Klage des Insolvenzverwalters als auch die Klage der Etihad waren vor dem Brexit eingeleitet worden. Bis zum Brexit galten im Verhältnis zum Vereinigten Königreich die EU-weiten Regelungen für die internationale Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedsstaaten nach der EuGVVO. Das Austrittabkommen sieht eine Übergangsregelung für genau solche Fälle wie den von Etihad und Air Berlin vor: Auf Rechtsstreitigkeiten, die einen Bezug zu Großbritannien aufweisen und vor dem 31. Dezember 2020 eingeleitet wurden, finden weiterhin die Regelungen der EuGVVO Anwendung.

Sowohl das Verfahren in Berlin als auch London sind vor dem Stichtag eingeleitet worden. Deswegen, so der BGH, stellt der Brexit kein Hindernis für London als Gerichtsstand dar.

Empfehlungen für Gerichtsstandsklauseln in Verträgen mit UK-Bezug

Im Air Berlin-Fall haben die Regelungen im Austrittsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU dazu geführt, dass die europaweit gültige EuGVVO anwendbar bleibt. Das erleichtert den Gerichten die Entscheidung darüber, welche Gerichte für Streitigkeiten, die während der Übergangsphase begonnen haben, zuständig sind.

Allerdings müssen Unternehmen bei der Verhandlung von Gerichtsstandsklauseln mit Bezug zu Großbritannien darauf achten, dass die EuGVVO ab dem 31. Dezember 2020 nicht mehr gilt. Für Gerichtsstandsvereinbarungen im Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien gilt seit dem 1. Januar 2021 vielmehr das Haager Gerichtsstandsübereinkommen (HGÜ). Das HGÜ findet aber nur Anwendung für beidseitig greifende, ausschließliche Gerichtsstandsklauseln. Aus diesem Grund sollten Unternehmen genau abwägen, ob einseitige Gerichtsstandsklauseln bei Vereinbarungen mit Bezug auf Großbritannien überhaupt noch sinnvoll sind oder ob solche Klauseln ab jetzt generell vermieden werden sollen.

 

Co-Autorin: Sandra Gröschel

 

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