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05 May 2021, 9:24 am
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem nun veröffentlichten Urteil entschieden, dass Schadenspauschalierungsklauseln, die Auftraggeber mit bis zu 15 Prozent der Abrechnungssumme entschädigen, wenn diese aufgrund von Kartellabsprachen höhere Preise für Waren oder Dienstleistungen zahlen mussten, grundsätzlich wirksam sind. Solche Klauseln, die häufig von öffentlichen Auftraggebern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendet würden, benachteiligen den Auftragnehmer demnach nicht unangemessen.
„Eine der größten Schwierigkeiten in Kartellschadensersatz-Fällen ist regelmäßig die Ermittlung des genauen Schadens“, so Benita von Fritsch, Expertin für Streitbeilegungsverfahren bei Pinsent Masons, der Kanzlei hinter Out-Law. „Gerade in Fällen des durch Kartellabsprachen verursachten Preishöhenschadens ist die Ermittlung des sogenannten Overcharge, also des kartellbedingten Mehrpreises eines Produkts, grundsätzlich nur mit erheblichen Schwierigkeiten und großem sachlichen und finanziellen Aufwand zu ermitteln. Zudem lässt sich der hypothetische Wettbewerbspreis in der Regel nur aufgrund von Indizien ermitteln und kann daher oft nur näherungsweise bestimmt werden.“
Die Entscheidung des BGH, dass Pauschalierungsklauseln bei Schäden durch Kartellabsprachen rechtens sind, mache es nun erheblich einfacher, einen Schaden für Kläger geltend zu machen, wenn eine solche Pauschalierungsklausel vereinbart wurde. „Für die Beklagten bedeutet dies, dass der Nachweis eines geringeren oder gar nicht vorhandenen Schadens zwar nicht ausgeschlossen ist, doch wird die diesbezügliche Beweislast auf die Beklagten verlagert: Das an einer Kartellabsprache beteiligte Unternehmen müsste also nachweisen, dass dem Kunden kein Schaden oder nur ein geringerer Schaden durch die Preisabsprachen entstanden ist.“
Das Urteil erging in einem das Schienenkartell betreffenden Fall: Hersteller und Händler von Schienen, Weichen und Schwellen hatten spätestens seit 2001 bis zur Aufdeckung des Kartells im Mai 2011 Preis-, Quoten- und Kundenschutzabsprachen getroffen. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) hatten gegen einen Hersteller von Gleisoberbaumaterialien geklagt, der nachweislich an den Kartellabsprachen des Schienenkartells beteiligt war, und beriefen sich dabei auf eine Klausel, die in den „Zusätzlichen Vertragsbedingungen“ des Kaufvertrags enthalten war. Die Klausel besagte, dass der Auftragnehmer fünf Prozent der Abrechnungssumme als pauschalierten Schadensersatz an den Auftraggeber zahlen muss, wenn er „aus Anlass der Vergabe nachweislich eine Abrede getroffen hat, die eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung […] darstellt“. Nach einer umfassenden Auslegung der allgemeinen Geschäftsbedingung gelangt der BGH zu dem Ergebnis, dass es dem Klauselverwender zu gestatten sei, eine gewisse Bandbreite von im Kern gleichgerichteten Verstößen zum Gegenstand der Pauschalierung zu machen.
„Wie die vorherigen Urteile des BGH im Rahmen des sogenannten Schienenkartells auch, schafft dieses Grundsatzurteil in vielen Punkten Klarheit. Es gibt die lange vermisste grundsätzliche Rechtssicherheit bei der Formulierung pauschalierter Kartellschadensersatz-Klauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen“, so Julia Haas, Expertin für Kartellrecht bei Pinsent Masons.
Das Berufungsgericht hatte bei der Bewertung der Höhe der Schadenspauschale verschiedene ökonomische Meta-Studien berücksichtigt, insbesondere die von der BVG in den Prozess eingeführte und vielzitierte Oxera-Studie der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2009. Hierauf aufbauende jüngere Metastudien gelangen zu dem Ergebnis, dass sich der durchschnittliche Kartellaufschlag weltweit im Mittelwert auf 15 Prozent bezogen auf den tatsächlich gezahlten Kaufpreis beläuft. Der BGH kam zu dem Schluss, dass die BVG sich durchaus auf entsprechende Studien berufen darf, um zu belegen, dass die von ihr anhand der Klausel vorgesehene Schadensersatzpauschale nicht zu hoch angesetzt ist.
„Zu beachten ist allerdings, dass eine Bezugnahme auf ökonomisch fundierte allgemeine Analysen kartellbedingter Preisaufschläge laut BGH für die Ermittlung der angemessenen Schadenspauschale zwar im Grundsatz genügen muss. Dies jedoch nur dann, wenn es an hinreichenden empirischen Erkenntnissen für eine branchentypische Schadenshöhe fehlt, was allerdings regelmäßig der Fall sein wird“, so Haas.
Wenn der Hersteller von Gleisoberbaumaterialien der Auffassung sei, dass der tatsächliche Schaden geringer ausfalle, so der BGH, sei es an ihm, dies nachzuweisen. Schließlich habe er den Umstand, dass es überhaupt zu einem Schaden kam, zu verantworten, so dass es auch deshalb nicht angemessen sei, die Beweislast auf den Geschädigten abzuwälzen. Das Berufungsgericht, das den Fall in Vorinstanz behandelt hat, muss dem Hersteller von Gleisoberbaumaterialien somit nun Gelegenheit geben, nachzuweisen, dass der durch die Preisabsprache erlittene Schaden für die BVG unter fünf Prozent des Kaufpreises lag.
Out-Law Analysis
17 Dec 2020