Out-Law Analysis Lesedauer: 3 Min.
02 Feb 2021, 11:12 am
Die im Januar in Kraft getretene 10. GWB-Novelle erweitert vor allem die Kompetenzen des Bundeskartellamtes (BKartA) gegenüber marktmächtigen Digitalkonzernen. Doch auch im Bereich der klassischen Kartellverfahren, die regelmäßig hohe Bußgelder nach sich ziehen, haben sich weitreichende Änderungen für Unternehmen und Verbände ergeben. Künftig können effektive Compliance-Programme ein potentielles Bußgeld reduzieren.
Unverändert drohen Unternehmen für besonders schwerwiegende Kartellverstöße Bußgelder von bis zu zehn Prozent des weltweiten Konzernumsatzes. Bei Verfahrensverstößen gilt künftig ein Bußgeldrahmen von bis zu einem Prozent des Gesamtumsatzes, was eine deutliche Erhöhung zum bisher vorgesehenen Höchstbetrag von 100.000 Euro bedeutet.
Ausgangspunkt für die Berechnung des konkreten Bußgeldes gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen sind die Schwere und Dauer der Tat. Hinzu kommen weitere Kriterien, die für die Bestimmung der Bußgeldhöhe eine Rolle spielen können. Dazu zählt vor allem der sogenannte tatbefangene Umsatz, aber etwa auch, ob das Unternehmen ein Wiederholungstäter ist, Compliance-Maßnahmen ergriffen hat und bestrebt ist, den entstandenen Schaden wiedergutzumachen. Mit der 10. GWB-Novelle wurden diese Kriterien, die nicht abschließend sind, erstmals im Gesetz verankert.
In der Vergangenheit kam es vor, dass die das Bußgeld überprüfenden Gerichte das ursprünglich vom BKartA verhängte Bußgeld immens erhöhten, wie im Fall der Drogeriemarktkette Rossmann. Die Verankerung der Kriterien im Gesetz soll dieses Prozessrisiko abmildern. Allerdings dürften die im Gesetz nicht weiter konkretisierten Kriterien diese Unsicherheit nicht gänzlich beseitigen: Weiterhin können BKartA und Gerichte die Anforderungen an die einzelnen Kriterien unterschiedlich beurteilen.
So ist etwa nicht eindeutig festgehalten, welche Umsätze vom „tatbezogenen Umsatz” erfasst sind, obwohl dieser als Orientierungshilfe für die Schwere der Tat dienen soll. Grundsätzlich handelt es sich dabei um den Umsatz der mit der Tat, etwa dem Kartell, in Zusammenhang steht. Laut Gesetzesbegründung können hierbei auch Umsätze berücksichtigt werden, die mit Produkten beziehungsweise Dienstleistungen erzielt wurden, die nur mittelbar in Zusammenhang mit der Tat stehen. Auch Umsätze, die nicht im Tatzeitraum erzielt wurden, können im Einzelfall zu Grunde gelegt werden.
Von einem reduzierten Bußgeld können nur Unternehmen profitieren, deren Compliance-Maßnahmen ‚angemessen und wirksam‘ sind.
Für Unternehmen kann sich die Anstrengung, ein effektives Compliance-Programm zu unterhalten, demnächst auch im Kartellbußgeldverfahren auszahlen. Bislang hatte sich das BKartA – wie nach wie vor auch die EU-Kommission – geweigert, das Bußgeld gegen Unternehmen zu reduzieren, wenn diese bereits ein vor der Tat etabliertes Compliance-Programm vorweisen konnten.
Der Kartellverstoß selbst sei der beste Beleg dafür, dass das Programm nicht ausreichend funktioniert hat. Allerdings hat der deutsche Gesetzgeber in letzter Minute anerkannt, dass wettbewerbswidriges Verhalten in der Praxis häufig erst durch unternehmensinterne Compliance-Maßnahmen aufgedeckt und zur Anzeige gebracht wird. So können in künftigen Verfahren sowohl vor als auch nach der Tat unternommene Compliance-Anstrengungen durch eine Reduzierung des Bußgeldes gewürdigt werden.
Von einem reduzierten Bußgeld können allerdings nur Unternehmen profitieren, deren Compliance-Maßnahmen „angemessen und wirksam” sind. Dies soll laut Gesetzesbegründung der Fall sein, wenn der Inhaber des Unternehmens alle objektiv erforderlichen Vorkehrungen ergriffen hat, um Wettbewerbsverstöße durch Mitarbeiter wirksam zu verhindern. Haben die Maßnahmen zur Aufdeckung und Anzeige des Verstoßes geführt, sei dies regelmäßig anzunehmen.
Hat trotz aller Bemühungen ein Verstoß stattgefunden, spricht dies nicht zwingend gegen die Ernsthaftigkeit dieser Bemühungen, lässt die Bußgeldreduzierung aber geringer ausfallen. Ausgeschlossen ist die Bußgeldreduzierung allerdings dann, wenn die Geschäftsleitung selbst an der Zuwiderhandlung beteiligt war und damit zu erkennen gibt, nicht hinter den Compliance-Anstrengungen zu stehen. Wann ein Compliance-System als angemessen gilt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, etwa der Unternehmensgröße und dem Risiko von Rechtsverletzungen.
Das Bußgeld soll auch dann milder ausfallen können, wenn sich das Unternehmen bemüht, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen und Maßnahmen zur Aufklärung der Tat ergreift. Die aktive Kooperation eines Unternehmens soll dabei ein Indiz für die Ernsthaftigkeit der Bemühungen sein. Schließen Unternehmen etwa mit den durch das Kartell geschädigten Abnehmern einen Vergleich und zahlen Schadenersatz, könnte das BKartA im Gegenzug einen Teil des behördlichen Bußgeldes erlassen. In der Praxis werden Schadenersatzforderungen und Vergleichsgespräche typischerweise nicht schon während des Bußgeldverfahrens geführt, sondern schließen sich daran an. Damit ist es aber in der Regel nicht möglich, Schadenersatzzahlungen bei der Bestimmung des Bußgeldes zu berücksichtigen. Die Gesetzesänderung könnte diese Abfolge allerdings ändern und Unternehmen dazu bewegen, bereits während des Bußgeldverfahrens über eine Wiedergutmachung des Schadens nachzudenken.
Verschärfte Sanktionen gegen Verbände möglich
Die GWB-Novelle unterwirft Verbände einer wesentlich verschärften Sanktionierung. Orientierte sich der Bußgeldrahmen von bis zu zehn Prozent bislang allein am Umsatz des Verbandes, das heißt im Wesentlichen an den doch geringen Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge, ist nun der Umsatz der Verbandsmitglieder maßgeblich, die auf dem von der Ordnungswidrigkeit betroffenen Markt tätig waren. Damit können Verfahren gegen die einzelnen Mitglieder vermieden werden und die Behörde direkt gegen den Verband vorgehen.
Ist der Verband nicht in der Lage, das Bußgeld zu zahlen, etwa, weil die Mitglieder die Mittel nicht zu Verfügung stellen, kann sich die Behörde unter bestimmten Voraussetzungen auch direkt an einzelne Mitglieder halten. Dagegen können sich die Verbandsmitglieder nur in begrenztem Umfang zu Wehr setzen. Verbandsmitglieder müssten etwa darlegen, dass sie von den wettbewerbswidrigen Beschlüssen keine Kenntnis hatten beziehungsweise sich aktiv davon distanziert haben oder, dass sie den Beschluss nicht umgesetzt haben.
Erfahren Sie mehr über den generellen Inhalt der 10. GWB-Novelle, ihre Auswirkungen auf die Fusionskontrolle und die neuen Kompetenzen des Bundeskartellamtes im Umgang mit großen Digitalkonzernen.