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Händler müssen Kartellrecht bei der Umstellung auf E-Commerce berücksichtigen


Beim Umstieg vom stationären Einzelhandel zum Online-Vertrieb sowie beim Ausbau des Online-Vertriebs müssen Händler und Hersteller unter anderem auch kartellrechtliche Herausforderungen meistern. Ein besonders hohes Risiko kann in der Nutzung von Preisüberwachungs- und Preisanpassungs-Software liegen, die immer populärer wird.

Schon nach den ersten zwei Adventswochen vermeldete der Handelsverband Deutschland ein schwaches Weihnachtsgeschäft. Nun kam es zu einem vorzeitigen Ende: Der Lockdown wurde auf den Einzelhandel ausgeweitet. Seit gestern ist die Mehrheit der Ladengeschäfte erneut geschlossen.

Zugleich verzeichnen große Online-Handelsplattformen Rekordumsätze. Durch die Pandemie wird der Onlinehandel noch schneller als bisher angenommen zum essenziellen Bestandteil der Versorgungsinfrastruktur. Auch kleinere Einzelhändler versuchen zunehmend, ihre Online-Präsenz auf- oder auszubauen und setzen dabei häufig auf große E-Commerce-Plattformen. Das Statistik-Portal Statista verzeichnet eine Vervierfachung des Umsatzes im Online-Einzelhandel in Deutschland in den letzten zehn Jahren.

Bei der rechtssicheren Ausgestaltung des Online-Handels müssen sich die Marktteilnehmer insbesondere an die kartellrechtlichen Verhaltensregeln, etwa das sogenannte Kartellverbot, halten. Das untersagt wettbewerbsbeschränkende Absprachen oder abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen, nicht zuletzt über Wiederverkaufspreise.

Auch in der digitalen Welt gilt der Grundsatz, dass Marktteilnehmer ihre Geschäftspolitik unabhängig von ihren Wettbewerbern und Lieferanten bestimmen müssen.

Auch die Umsetzung einer menschlichen Absprache mittels technischer Hilfsmittel wie Preisüberwachungs- und Preisanpassungs-Software stellt einen Kartellverstoß dar. Die Wettbewerbsbehörden können diesen Verstoß mit hohen Bußgeldern ahnden, wie dies auch bei Kartellen aus der rein analogen Welt der Fall ist. Ein Beispiel dafür ist das britische „Poster-Kartell”, bei dem sich die Händler einer Handelsplattform über Preise für Poster abstimmten. Diese Abstimmung setzten sie – aufgrund der Fülle der zu beobachtenden Verkaufsartikel notwendiger Weise – mit Hilfe von Software um. Neben einem Bußgeld drohen den Beteiligten unter anderem hohe Schadensersatzforderungen von Geschädigten.

Auch in der digitalen Welt gilt der Grundsatz, dass Marktteilnehmer ihre Geschäftspolitik unabhängig von ihren Wettbewerbern und Lieferanten bestimmen müssen. So droht etwa ein Verstoß, wenn Hersteller ihren Händlern abverlangen, bestimmte Mindestverkaufspreise einzuhalten und Preisüberwachungssoftware einsetzen, um „Preisbrecher” zeitnah zu identifizieren. Eine solche Überwachung haben zum Beispiel vor einigen Jahren Elektronikhersteller bei Online-Wiederverkaufspreisen praktiziert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Bußgelder höher ausfallen, wenn die eingesetzte Software die Möglichkeit schafft, ein Kartell effizienter umzusetzen.

Der Einsatz von Preissetzungs- und Preisüberwachungs-Software im Rahmen des E-Commerce kann also problematisch sein. Diese prognostiziert auf Basis von gesammelten Echtzeit-Verkaufspreisdaten bestimmte Marktentwicklungen und passt unter anderem die Verkaufspreise der Händler aufgrund voreingestellter Parameter oder menschlicher Interaktion automatisch an. Solche Algorithmen sind im Online-Handel auf dem Vormarsch und rücken somit auch immer mehr ins Interesse der Wettbewerbsbehörden.

Die Sektoruntersuchung der EU-Kommission im Bereich E-Commerce kam bereits 2015 zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit der befragten Einzelhändler die Online-Preise der Konkurrenz verfolgt und zwei Drittel von ihnen automatische Softwareprogramme nutzt, um die Preise anzupassen. Die Verwendung solcher Tools dürfte seitdem – auch und gerade aufgrund gestiegener Datenmengen – erheblich zugenommen haben. Aber auch im stationären Handel kommen digitale Preisschilder zum Einsatz, die eine automatische und sekundenschnelle Reaktion auf die Preisveränderungen im Wettbewerb ermöglichen.

Vorsicht ist selbst dann geboten, wenn die Unternehmen nicht unmittelbar miteinander in Kontakt treten.

Neben der EU-Kommission haben sich viele nationale Wettbewerbsbehörden verstärkt mit dem Einsatz von Algorithmen beschäftigt. Derzeit untersucht die niederländische Wettbewerbsbehörde gemeinsam mit dem Unternehmen Muziekweb die Verwendung von Algorithmen in der Praxis, nicht zuletzt, um über das entsprechende Know-how für künftige Verfahren in diesem Bereich zu verfügen. Das Bundeskartellamt (BKartA) und die französische Wettbewerbsbehörde (Autorité de la concurrence) haben das Projekt „Algorithms and Competition“ durchgeführt. Im Januar 2020 hat das BKartA die wesentlichen Ergebnisse der Studie veröffentlicht. So werden Algorithmen als wichtiger technologischer Treiber der Digitalisierung gesehen, da sie etwa neue Geschäftsmodelle ermöglichen und durch Such- und Vergleichsportale die Transparenz für Verbraucher erhöhen. Sie stellen auf der anderen Seite aber auch ein Risiko für einen unverfälschten Wettbewerb dar.

Vorsicht ist selbst dann geboten, wenn die Unternehmen nicht unmittelbar miteinander in Kontakt treten, sondern über einen Dritten agieren. So ist etwa denkbar, dass der Einsatz identischer Software durch mehrere Wettbewerber zu einer Preisangleichung im Markt führt, wenn der Algorithmus auf einen gemeinsamen Datenpool der unterschiedlichen Nutzer zurückgreift, um zu lernen. Händler, die auf E-Commerce setzen und Software einsetzen wollen, trifft eine erhöhte Sorgfaltspflicht, um jede Form der direkten oder indirekten Abstimmung mit Wettbewerbern zu vermeiden: Die Software sollte bereits von vornherein so entwickelt und konfiguriert sein, dass sie Kartellverstöße vermeidet oder das Risiko solcher Verstöße minimiert („compliance by design and default”). Softwareentwickler sollten also die Einhaltung der kartellrechtlichen Regelungen forcieren, um ein eigenes Bußgeld als Kartellgehilfe zu vermeiden. Dafür sollten Unternehmen einen internen Prozess – gegebenenfalls unter Zuhilfenahme der Softwareentwickler – etablieren, der sicherstellt, dass die kartellrechtliche Überprüfung auch alle technischen Aspekte der Software berücksichtigt. 

Eher hypothetisch, aber durchaus schon in der Diskussion der Wettbewerbsbehörden, ist das Szenario, dass selbstlernende und selbstagierende Algorithmen ohne menschliches Zutun die Preise festlegen und ein Kartell bilden. Bis dies Realität wird und die Behörden wissen, wie sie mit diesem Szenario umgehen können, gilt die Mahnung von Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts: „Solche Algorithmen werden ja nicht im Himmel vom lieben Gott geschrieben.”

Digitalisierung und künstliche Intelligenz erleichtern jedoch nicht nur die Bildung von Kartellen. Unternehmen arbeiten mit Hochdruck daran, Algorithmen zu entwickeln, die Kartelle aufdecken und zerschlagen sollen. Einen Anreiz dafür bietet der Ausblick, die erlittenen Kartellschäden im Wege des Schadensersatzes ersetzt zu bekommen.

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