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16 Oct 2024, 12:36 pm
Das neue Gesetz ermächtigt die Bundesländer, spezialisierte Spruchkörper für Handelssachen (Commercial Courts und Commercial Chambers) einzurichten, vor denen in englischer Sprache verhandelt werden kann. So sollen deutsche Gerichte für Verhandlungen in internationalen Wirtschaftsstreitigkeiten fit gemacht werden. Dies soll den Justizstandort Deutschland stärken und die Verlagerung von Wirtschaftsstreitigkeiten vor private Schiedsgerichte und ausländische Handelsgerichte verringern. Die Reform geht auf eine Initiative der Länder aus dem Jahr 2010 zurück.
Das frisch verkündete Gesetz führt unter anderem einen verkürzten Instanzenzug mit Eingangsinstanz bei den Commercial Courts an den Oberlandesgerichten, Englisch als Verfahrenssprache, verpflichtend frühe Organisationstermine, einen besseren Schutz von Geschäftsgeheimnissen und ein Wortprotokoll ein.
Bei den Oberlandesgerichten oder Obersten Landesgerichten sollen Commercial Courts eingerichtet werden, vor denen privatrechtliche Wirtschaftsstreitigkeiten erstinstanzlich verhandelt werden können.
„Mit dem Justizstandort-Stärkungsgesetz hat der Bund die Grundlage für eine erhebliche Modernisierung des Zivilprozesses bei großvolumigen Wirtschaftsstreitigkeiten gelegt“, so Johanna Weißbach, Expertin für Gerichts- und Schiedsverfahren bei Pinsent Masons. „Das Finetuning durch die Einrichtung und Zuständigkeitsbestimmung der Commercial Courts und Commercial Chambers obliegt nun den Bundesländern. Sobald erste Bundesländer von den im Justizstandort-Stärkungsgesetz vorgesehenen Möglichkeiten Gebrauch gemacht haben, eröffnen sich für Unternehmen in der Vertragsgestaltung Optionen, die Zuständigkeit eines Commercial Courts oder einer Commercial Chamber zu vereinbaren.“
Gemäß dem neuen Gesetz können die Parteien die Zuständigkeit eines Commercial Courts grundsätzlich für alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmen mit Ausnahme des gewerblichen Rechtsschutzes, des Urheberrechts und des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb vereinbaren, sofern der Streitwert mindestens 500 000 Euro beträgt. Die Bundesländer können dabei spezialisierte Commercial Courts einrichten, beispielsweise für M&A-Streitigkeiten oder für kartellrechtliche Verfahren.
Die Parteien sollen das Verfahren komplett auf Englisch führen können. Eine moderne technische Ausstattung, spezialisierte Richter und frühzeitige Organisationstermine zur Planung des weiteren Verfahrens versprechen eine Beschleunigung der Prozesse vor den Commercial Courts. Eine Revision gegen das Urteil eines Commercial Courts zum Bundesgerichtshof soll, anders als im Zivilprozessrecht sonst vorgesehen, zulassungsfrei möglich sein. Auch das Revisionsverfahren soll in englischer Sprache geführt werden können, sofern der zuständige Senat am Bundesgerichtshof damit einverstanden ist.
Die Entscheidungen der Commercial Courts sollen ins Deutsche übersetzt und veröffentlicht werden, wobei Geschäftsgeheimnisse jedoch bereits bei Erhebung der Klage unter Schutz gestellt werden. Der Geschäftsgeheimnisschutz wird somit auf den ganzen Zivilprozess vor den Commercial Courts ausgeweitet, sämtliche Geschäftsgeheimnisse sind vor einer Veröffentlichung geschützt.
Als eine weitere maßgebliche Neuerung sieht das Justizstandort-Stärkungsgesetz vor, dass an den Landgerichten Commercial Chambers eingerichtet werden können, an denen Wirtschaftsstreitigkeiten geführt werden können. Auf welche Wirtschaftsstreitigkeiten die einzurichtenden Commercial Chambers spezialisiert sind, soll den Bundesländern durch die Regelung entsprechender Zuständigkeiten überlassen bleiben. Sowohl das Verfahren als auch die Entscheidung der Commercial Chambers sollen vollständig auf Englisch erfolgen, sofern sich die Parteien hierauf einigen oder die beklagte Partei dem nicht widerspricht. Zudem werden sowohl vor den Commercial Courts als auch vor den Commercial Chambers Videoverhandlungen und Videobeweisaufnahmen möglich sein.
„Das überfällige Angebot der englischsprachigen Verfahrensführung verbessert den Zugang internationaler Unternehmen zum Justizstandort Deutschland“, so Carlo Schick, ebenfalls von Pinsent Masons. „Mit der angestrebten fachlichen Spezialisierung der Commercial Courts und Commercial Chambers, der obligatorischen frühen Verfahrenskonferenz und der Ausweitung der Geheimhaltungsmöglichkeiten spiegelt der Gesetzgeber erprobte Elemente aus der Schiedsgerichtsbarkeit. Unternehmen, die bislang aufgrund dieser Merkmale Schiedsvereinbarungen in ihren Verträgen aufgenommen haben, steht nun eine ähnliche Verfahrensart vor staatlichen Gerichten zur Verfügung, die in der Regel kostengünstiger sein wird. Allerdings bieten die Verfahren vor den neu geschaffenen Commercial Courts und Commercial Chambers weiterhin nicht die Flexibilität der Verfahrensführung wie die Schiedsgerichtsbarkeit. Vor- und Nachteile eines ‚Systemwechsels‘ sollten Unternehmen daher zunächst sorgfältig prüfen.“
Out-Law News
08 Jul 2024