Out-Law News Lesedauer: 3 Min.
10 Sep 2020, 1:43 pm
Die Zahl der Anmeldungen beim Bundeskartellamt lag in der ersten Jahreshälfte 2020 deutlich unter dem Vorjahresniveau, für die zweite Jahreshälfte rechnet die Behörde mit wesentlich mehr Transaktionen.
Das Bundeskartellamt (BKartA) hat seinen Jahresbericht für 2019 veröffentlicht und bei dieser Gelegenheit auch vorläufig Bilanz über das erste Halbjahr 2020 gezogen, das im Zeichen der Corona-Krise stand.
Im Berichtszeitraum 2019 prüfte die Bonner Behörde insgesamt rund 1.400 Transaktionen. Dabei wurde in nur circa einem Prozent der Fälle der Zusammenschluss in einem Hauptprüfverfahren vertieft untersucht. Während davon jeweils vier Transaktionen freigegeben und vier durch das BKartA untersagt wurden, gaben die Parteien sechs Vorhaben wieder auf. Die Fusion Miba/Zollern wurde schlussendlich durch eine Ministererlaubnis freigegeben, was seit Bestehen der Fusionskontrolle erst zehn Mal vorkam.
Während der Corona-Krise hatte der deutsche Gesetzgeber die Prüffristen für Fusionskontrollverfahren mit dem Covid-19-GWB-Änderungsgesetz vorübergehend verlängert. Laut BKartA kam es aber nur in wenigen Ausnahmefällen zu einer Prüfung, die länger als üblich dauerte. Auch während der Krise seien die Wettbewerbshüter durchgehend funktionsfähig geblieben.
Die Zahl der Anmeldungen lag in der ersten Jahreshälfte 2020 mit 505 deutlich unter dem Vorjahresniveau. In den Sommermonaten nahmen die Anmeldungen wieder leicht zu. Damit verdichten sich Experten zufolge die Anzeichen, dass die Talsohle mittlerweile durchschritten ist. Das BKartA rechnet damit, dass es im Zusammenhang mit Unternehmensrestrukturierungen in naher Zukunft vermehrt zu Transaktionen kommen wird.
Wenngleich die gesetzlichen Bestimmungen des Kartellrechts während der Corona-Krise nie außer Kraft gesetzt waren, verlangsamte sich doch zu Beginn des Jahres die Aktivität des BKartA auf dem Gebiet der Kartellverfolgung. Beispielsweise waren Durchsuchungen in Unternehmen wegen der Infektionsgefahr nicht möglich. Auf dem Weg in eine „neue Normalität“ bereitet sich das BKartA derzeit aber auf solche Durchsuchungen unter Beachtung von Covid-19-Schutzmaßnahmen vor. „Hier ist zeitnah mit einer erhöhten Aktivität zu rechnen, und Unternehmen sollten prüfen, ob ihre Mitarbeiter ausreichend präpariert sind, um im Notfall reagieren zu können“, empfiehlt Lena Lasseur, Expertin für Kartellrecht bei Pinsent Masons, der Kanzlei hinter Out-Law.
Abzuwarten bleibe, ob das BKartA damit noch an die rege Aktivität des Vorjahres anknüpfen kann. 2019 führten die deutschen Wettbewerbshüter fünf großangelegte Durchsuchungen an insgesamt 32 Unternehmensstandorten durch und stellten dabei 540 Aktenordner und fast 15 Terabyte digitale Daten sicher, was rund 96 Millionen Dokumentenseiten entspricht. Insgesamt verhängte das BKartA im letzten Jahr zudem Bußgelder von rund 848 Millionen Euro gegen 23 Unternehmen und Verbände und zwölf natürliche Personen, unter anderem wegen Gebiets- und Preisabsprachen. Dabei entfiel ein Rekordbußgeld von rund 646 Millionen Euro auf Stahlhersteller. Die Bußgelder bei Kartellverstößen können bis zu zehn Prozent des jährlichen Gesamtumsatzes eines Unternehmens betragen, wobei Unternehmen durch eine Kooperation mit der Behörde auch einen Bußgelderlass oder zumindest die Reduktion des Bußgeldes erreichen können.
Während der Corona-Krise hat das BKartA den Unternehmen wertvolle Orientierungshilfen geboten, damit diese kartellrechtskonform miteinander kooperieren konnten, so Dr. Laura Stammwitz, Expertin für Kartellrecht bei Pinsent Masons. „Diese Kooperationen – vor allem in den Bereichen der Beschaffung und Produktion – verfolgten etwa das Ziel, Engpässe zu vermeiden und waren insbesondere bei komplexen Lieferketten förderlich.“ So gab das BKartA grünes Licht für die vom Verband der Automobilindustrie vorgelegten vorübergehenden Maßnahmen für den Neustart und die Zusammenarbeit bei der Restrukturierung von Zuliefer-Unternehmen.
Ein besonderes Augenmerk richtet das BKartA seit einigen Jahren auf die mit der Digitalisierung einhergehenden grundlegenden Veränderungen des Wirtschafts- und Wettbewerbsgeschehens: Im Juni hatte der Bundesgerichtshof den durch das Bundeskartellamt gegen Facebook erhobenen Vorwurf der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung vorläufig bestätigt. Auch darüber hinaus hat das Amt weitere verbraucherschutzrechtlich geprägte Digitalthemen aufgegriffen und etwa im Rahmen einer Sektoruntersuchung Nutzerbewertungssysteme im Internet geprüft. Die Kompetenz, die geforderten Änderungen zugunsten des Verbraucherschutzes auch unmittelbar durchzusetzen, hat das BKartA allerdings nicht.
Vorschub für weitere Durchsetzungsmaßnahmen des BKartA im Bereich der Digitalwirtschaft dürfte die für 2021 geplante Neuregelung des deutschen Kartellrechts leisten, so Experten. Vorgesehen ist unter anderem eine Regelung, die es den Wettbewerbshütern ermöglichen soll, insbesondere gegenüber großen Digitalkonzernen, die marktübergreifend eine überragende Bedeutung für den Wettbewerb haben, regulierend einzugreifen. „Das eröffnet dem BKartA eine neue Dimension der Eingriffsmöglichkeiten”, so Lasseur.
In Anerkennung der Relevanz von Daten für mehrseitige digitale Märkte solle außerdem klargestellt werden, dass auch die Verweigerung des Zugangs zu Daten, Netzwerken oder anderen digitalen Infrastruktureinrichtungen als Marktmissbrauch qualifiziert werden kann. Bislang kam es in der Praxis vor allem dazu, dass der Zugang zu physischen Netzen und Infrastruktureinrichtungen durch marktbeherrschende Akteure versagt wurde.
Eine weitere Neuregelung soll es dem BKartA erlauben, einzugreifen, bevor ein Markt mit starken Netzwerkeffekten zu Gunsten des mächtigsten Akteurs kippt und ein Monopol entsteht. „Ohne diese Anpassung an digitale Märkte wird befürchtet, dass kartellrechtliche Intervention zu spät kommt und erst dann eingreift, wenn der Wettbewerb um den Markt schon entschieden ist“, so Lasseur
Erwähnung im Jahresbericht findet auch das Thema Nachhaltigkeit („Initiative Tierwohl”, „Fairtrade”) und damit der Ruf von Verbrauchern und das Engagement von Unternehmen, nachhaltigere Produkte herzustellen. „Derzeit stehen Initiativen zur Förderung der Nachhaltigkeit bei vielen Unternehmen zwar weit oben auf der Agenda. Oft bedarf es dafür aber der Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen und auch Wettbewerbern, für die es bislang nur wenige konkrete Handlungsanweisungen durch die Wettbewerbsbehörden gibt”, so Dr. Stammwitz. „Da sich einige Unternehmen durch das Kartellrecht ausgebremst sehen und die Zusammenarbeit aufgrund drohender Bußgelder fürchteten, wäre eine Richtschnur auf europäischer Ebene wünschenswert.“