Eine neue EU-Richtlinie verpflichtet börsennotierte Gesellschaften dazu, ab 2026 für ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis in Aufsichtsräten zu sorgen.
Nachdem im Oktober bereits der Rat der Europäischen Union den endgültigen Text der Richtlinie über die ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern in den Leitungsorganen von Unternehmen angenommen hatte, hat gestern auch das Europäische Parlament die neue Richtlinie angenommen. Der endgültige Text der Richtlinie wurde bislang allerdings noch nicht veröffentlicht.
Die Richtlinie legt fest, dass unter den Aufsichtsräten börsennotierter Gesellschaften in der EU bis 2026 mindestens 40 Prozent der Positionen von Mitgliedern des unterrepräsentierten Geschlechts – meistens Frauen – besetzt werden sollen.
Die Richtlinie geht auf einen Vorschlag der EU-Kommission aus dem Jahr 2012 zurück. Am 7. Juni 2022 hatten der Rat und das Europäische Parlament eine politische Einigung über die Richtlinie erzielt. Sie muss allerdings noch von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden, bevor sie Wirkung entfalten kann. Die Mitgliedstaaten können sich bei der Umsetzung der Richtlinie auch dafür entscheiden, die neuen Vorschriften sowohl auf Aufsichtsräte als auch auf Vorstände anzuwenden. In diesem Fall kann die Quote von 40 Prozent auf 33 Prozent herabgesenkt werden. Kleine und mittlere Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten sind allerdings von den neuen Pflichten ausgenommen.
Börsennotierte Gesellschaften, die die Quote nicht fristgerecht erfüllen, werden verpflichtet, ihr Auswahlverfahren anzupassen und „faire und transparente Auswahl- und Ernennungsverfahren“ einzuführen, bei denen die Kandidaten auf der Grundlage „klarer und neutral formulierter Kriterien“ miteinander verglichen werden, so der Rat. Wenn mehrere Kandidaten mit gleichwertiger Qualifikation für einen Posten zur Verfügung stehen, soll der Kandidat des unterrepräsentierten Geschlechts die Position erhalten.
Außerdem werden börsennotierte Gesellschaften dazu verpflichtet, jährlich Informationen über die Vertretung von Frauen und Männern in ihren Leitungsorganen zu veröffentlichen und über die Maßnahmen zu berichten, die sie ergriffen haben, um die vorgeschriebene Quote zu erreichen. Die Mitgliedstaaten werden dazu verpflichtet, jährlich eine Liste der Unternehmen, die die Ziele der Richtlinie erreicht haben, zu veröffentlichen. Außerdem können die Mitgliedstaaten sich dazu entschließen, Bußgelder oder andere Sanktionen gegen Unternehmen zu verhängen, in denen es keine offenen und transparenten Einstellungsverfahren gibt.
„Es ist erwiesen, dass ausgewogenere Leitungsorgane bessere Entscheidungen treffen“, so Linda Wüllner, Expertin für Gesellschaftsrecht bei Pinsent Masons. „Trotzdem sind in der gesamten Union immer noch erheblich mehr Männer als Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten vertreten. Wenn mehr Frauen in wirtschaftlichen Entscheidungspositionen tätig sind, dürfte dies auch Auswirkungen auf die Unternehmenskultur und die Gleichstellung der Geschlechter in Unternehmen insgesamt haben. Ein Vorgehen auf EU-Ebene stellt zudem sicher, dass EU-weit gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen.“
Mitgliedstaaten, die vor Inkrafttreten der Richtlinie dem Erreichen der Ziele nahegekommen sind oder bereits vergleichbare Gesetze erlassen haben, müssen nicht alle Punkte der Richtlinie umsetzen: Die Vorgaben zu fairen Ernennungs- und Auswahlverfahren können sie aussetzen.
Deutschland hat bereits seit 2015 eine gesetzlich vorgeschriebene „Frauenquote“ für Aufsichtsräte, sie wurde mit dem Führungspositionen-Gesetz (FüPoG) eingeführt. Seit dem letzten Jahr gilt außerdem eine Quote für Vorstände.