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13 May 2022, 3:33 pm
Der Bundestag hat für eine Gesetzesnovelle gestimmt, die der Bundesregierung neue Handlungsmöglichkeiten – auch in Bezug auf Unternehmen – geben soll, um Energiekrisen besser vorbeugen und bewältigen zu können.
Vor dem Hintergrund des Angriffs Russlands auf die Ukraine hat der Bundestag eine Novelle des Energiesicherungsgesetzes 1975 (EnSiG) angenommen. Mit der geplanten Reform will sich Deutschland weiter für den Fall einer Energiekrise wappnen. Der Bundestag stimmte zudem für eine Reihe von Änderungen an dem Gesetzesentwurf, die der Ausschuss für Energie und Klimaschutz eingebracht hat. So wurden vor allem die Regeln zur Enteignung von Unternehmen und zu Preisanpassungen nachjustiert.
Die Gesetzesnovelle sieht unter anderem vor, dass Unternehmen, die kritische Energieinfrastrukturen betreiben, unter Treuhandverwaltung gestellt werden können, wenn sie ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen und hierdurch die Versorgungssicherheit gefährdet werden könnte. Dies könnte nach den vorgesehenen Neuregelungen in bestimmten Fällen sogar schon vor Eintritt einer unmittelbaren Gefährdung oder Störung der Energieversorgung geschehen. Als letztes Mittel wäre auch eine Enteignung möglich, sofern es keine andere Möglichkeit gibt, die Sicherung der Energieversorgung zu gewährleisten.
Eine vom Ausschuss vorgeschlagene und vom Bundestag angenommene Änderung sieht nun allerdings vor, dass die Bundesregierung vor einer Enteignung künftig die Zustimmung des Bundestags einholen muss. Auch wurde eine Regelung ergänzt, die festlegt, dass Unternehmen, deren Anteile enteignet wurden, wieder reprivatisiert werden müssen, sobald es die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit und die Bundeshaushaltsordnung erlauben. Einen Anspruch auf Reprivatisierung hätten die enteigneten Unternehmen jedoch nicht. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) soll dem Bundestag alle zwei Jahre einen Bericht zum Stand der Privatisierung vorlegen.
Mark Helfrich, energiepolitischer Fachsprecher der CDU/CSU Bundestagsfraktion, bemängelte, dass das Enteignungsverfahren und die Entschädigungen für betroffene Unternehmen noch nicht geregelt sind. Dieser Umstand könne zu einem Investitionshemmnis im Bereich der kritischen Energieinfrastruktur werden.
Die Gesetzesnovelle enthält in Paragraf 24 außerdem eine Regelung, durch die Energieunternehmen im Fall einer Gaskrise die Preise für Gas anheben könnten. Voraussetzung für solche – dann gesetzlich vorgesehenen – Preisanpassungen wäre, dass die Alarm- oder Notfallstufe gemäß Notfallplan Gas ausgerufen wurde und eine erhebliche Verminderung der Gasimporte durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) festgestellt wird. In diesem Fall hätten betroffenen Energieversorgungsunternehmen das Recht, ihre Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein "angemessenes Niveau" anzupassen. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass Energieversorgungsunternehmen sich bei steigenden Gaspreisen kein Gas mehr leisten und ihre Kunden nicht mehr beliefern können oder sogar Insolvenz anmelden müssen.
Die Gasversorger müssten ihre Kunden über die Preisanpassung rechtzeitig informieren – diese hätten daraufhin ein Sonderkündigungsrecht. Wenn sich die Lage anschließend wieder entspannt und die Bundesnetzagentur feststellt, dass wieder mehr Gas nach Deutschland importiert wird, hätten die Kunden das Recht, eine erneute Anpassung des Gaspreises zu fordern. Auch hier hat der Bundestag Änderungen durch den Ausschuss angenommen, die den Verbraucherschutz bei Preisanpassungen stärkt: So sollen Verbraucher, die von einer solchen Preisanpassung betroffen sind, alle zwei Monate eine Überprüfung der Preisanpassung von ihren Energieversorgern fordern dürfen. Das Energieversorgungsunternehmen muss dem Kunden innerhalb von zwei Wochen das Ergebnis der Prüfung und die Preisänderung mitteilen und begründen. Ebenfalls neu eingefügt wurde eine Regelung, wonach nach dem Ende der Notfalllage die Energiepreise auf ihr altes Niveau zurückgesetzt werden müssen. Erfolgt dies nicht, müssen Energieversorger dies nachvollziehbar begründen.
An dem ursprünglichen Entwurf eines Preisanpassungsrechts in Praragraf 24 EnSiG für den Fall einer Reduzierung von Gasimportmengen hatte insbesondere die Energiewirtschaft erhebliche Kritik geäußert. Verabschiedet wurde der Entwurf aber nun in der vom Ausschuss für Energie und Klimaschutz vorgeschlagenen Fassung, die umfangreiche Änderungen an Paragraf 24 EnSiG enthält.
„Es wird sich zeigen, ob die nun beschlossene Gesetzesfassung im Fall der Fälle mit den energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen harmoniert und eine rechtssichere Preisanpassung ermöglicht“, so Dr. Valerian von Richthofen, Energierechtsexperte bei Pinsent Masons.
Das Votum des Bundestags erfolgte in einer Situation, in der sich die Gaskrise Beobachtern zufolge zuspitzt. Bereits Ende März hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Frühwarnstufe gemäß dem Notfallplan Gas ausgerufen. Zudem teilte Habeck am 12. Mai mit, dass einige in Deutschland operierende Tochterunternehmen des Gaskonzerns Gazprom nicht mehr mit russischem Gas beliefert würden. Dies sei Bestandteil russischer Sanktionen gegen 31 überwiegend europäische Unternehmen, die am Mittwoch bereits durch Russland angekündigt wurden. "Die betroffenen Mengen bei Gazprom Germania haben eine Größenordnung von zehn Millionen Kubikmeter pro Tag", so Habeck in einer Mitteilung seines Ministeriums. "Das entspricht rund drei Prozent des gesamten Jahresverbrauchs von Deutschland. Diese Mengen können am Markt anderweitig beschafft werden, und es ist Aufgabe der Stunde, diese Kontingente neu zu besorgen."
Anfang April hatte das BMWK die Bundesnetzagentur als vorübergehenden Treuhänder von Gazprom Germania, einer Tochter des russischen Staatskonzerns Gazprom, eingesetzt. Das BMWK hatte die Entscheidung mit unklaren Rechtsverhältnissen in der Gruppe sowie einem Verstoß gegen die Meldepflicht im Rahmen der Außenwirtschaftsverordnung begründet. Die Anordnung diene dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit.
Der vom Bundestag verabschiedete Gesetzesentwurf beinhaltet auch neue Regeln, die den europäischen Solidaritätsmechanismus stärken sollen. Dieser Mechanismus ist in der SoS-Verordnung der EU verankert. Er verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, einander zu helfen, wenn es zu Gasengpässen kommt. Die geplanten neuen Regeln würden es der Bundesregierung gestatten, die Maßnahmen aus dem EnSiG nicht nur dann zu ergreifen, wenn Deutschland in einer Energiekrise steckt, sondern auch dann, wenn andere EU-Mitgliedstaaten in eine Energiekrise geraten und formell um Unterstützung bitten. Der Gesetzesentwurf sieht ferner vor, dass eine digitale Plattform für Erdgas durch den Marktgebietsverantwortlichen Trading Hub Europe eingerichtet wird, um Krisenmaßnahmen, insbesondere eine Verteilung knapper Energiemengen, umzusetzen. Die Sicherheitsplattform Gas wurde zwischenzeitlich bereits von der Bundesnetzagentur, dem BMWK und Trading Hub Europe in Betrieb genommen.
Zudem enthält der Entwurf auch Änderungen am Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und an der Gassicherungsverordnung (GasSV). Unter anderem sollen Betreiber von Gasspeicheranlagen künftig eine Genehmigung bei der Bundesnetzagentur einholen müssen, bevor sie eine Anlage stilllegen.
Das Gesetz muss noch vom Bundesrat gebilligt werden, bevor es in Kraft treten kann.