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27 Apr 2022, 1:26 pm
Eine Gesetzesnovelle soll der Bundesregierung neue Handlungsmöglichkeiten - auch in Bezug auf Unternehmen - geben, um Energiekrisen besser vorbeugen und bewältigen zu können und die Versorgungssicherheit zu erhöhen.
Vor dem Hintergrund des Angriffs Russlands auf die Ukraine hat die Bundesregierung eine Novelle des Energiesicherungsgesetzes 1975 (EnSiG) beschlossen. Mit der geplanten Reform will sie sich weiter für den Fall einer Energiekrise wappnen.
„Nachdem das Energiesicherheitsgesetz aus dem Jahre 1975 in den letzten Jahrzehnten wenig praktische Relevanz hatte, ist es nun aufgrund der angespannten Lage auf den Energiemärkten wieder in den Fokus gerückt“, so Dr. Valerian von Richthofen, Energierechtsexperte bei Pinsent Masons. „Die vorgesehenen Anpassungen sind dabei vielfältig.“
Die Formulierungshilfe der Bundesregierung (50 Seiten/ 339 KB) sieht unter anderem vor, dass Unternehmen, die kritische Energieinfrastrukturen betreiben, unter Treuhandverwaltung gestellt werden können, wenn sie „ihren Aufgaben nicht mehr hinreichend nachkommen und eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht“. Dies könnte nach den dann in den Paragrafen 17 bis 23 EnSiG vorgesehenen Regelungen in bestimmten Fällen sogar schon vor Eintritt einer unmittelbaren Gefährdung oder Störung der Energieversorgung geschehen, teilte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima (BMWK) mit. Als letztes Mittel (ultima ratio) wäre auch eine Enteignung möglich, sofern es keine andere Möglichkeit gibt, die Sicherung der Energieversorgung zu gewährleisten.
Der Entwurf enthält außerdem eine Regelung, durch die Energieunternehmen im Fall einer Gaskrise die Preise für Gas anheben könnten. Dieser findet sich in Artikel 1, Paragraf 24 der Formulierungshilfe. Voraussetzung für solche – dann gesetzlich vorgesehenen – Preisanpassungen wäre, dass die Alarm- oder Notfallstufe gemäß Notfallplan Gas ausgerufen wurde und eine erhebliche Verminderung der Gasimporte durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) festgestellt wird. In diesem Fall hätten „alle hiervon betroffenen Energieversorgungsunternehmen entlang der Lieferkette das Recht, ihre Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen“, so die Formulierungshilfe. Die Frühwarnstufe gemäß dem Notfallplan Gas hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bereits Ende März ausgerufen.
Die Gasversorger müssten ihre Kunden über die Preisanpassung rechtzeitig vor ihrem Eintritt informieren – diese hätten daraufhin ein Sonderkündigungsrecht. Auf diese Weise soll laut BMWK verhindert werden, dass Energieversorgungsunternehmen sich bei steigenden Gaspreisen kein Gas mehr leisten und ihre Kunden nicht mehr beliefern können oder sogar Insolvenz anmelden müssen. Wenn sich die Lage anschließend wieder entspannt und die Bundesnetzagentur feststellt, dass wieder mehr Gas nach Deutschland importiert wird, hätten die Kunden das Recht, eine erneute Anpassung des Gaspreises zu fordern.
Der Entwurf sieht ferner vor, dass bereits vor einem Krisenfall eine digitale Plattform für Erdgas durch den Marktgebietsverantwortlichen (Trading Hub Europe - THE) errichtet und eingesetzt werden soll, um im Fall der Fälle Krisenmaßnahmen, insbesondere eine Verteilung knapper Energiemengen (sogenannte „Lastverteilung“), umzusetzen. Diese Plattform soll der Abwicklung marktbasierter Maßnahmen im Sinne von Artikel 13 der SoS-Verordnung der EU ermöglichen, indem Gashändlern und Gaskunden die Möglichkeit gegeben wird, in einer Gasmangellage noch verfügbare Gasmengen freiwillig zum Verkauf anzubieten. Darüber hinaus soll diese Plattform aber auch der Umsetzung nicht marktbasierter Maßnahmen im Falle der Ausrufung der Notfallstufe nach dem Notfallplan Gas dienen. Die auf dieser Plattform hinterlegten Daten sollen dann dabei helfen, festzulegen, welche Unternehmen vom Gasnetz genommen werden.
„Nach den uns vorliegenden Informationen soll die digitale Sicherheitsplattform Gas zunächst statische Modellierungen ermöglichen“, so Florian Huber, Energierechtsexperte bei Pinsent Masons. „Ab Herbst 2022 sollen dann auch dynamische Modelle unter ständiger Aktualisierung der Daten möglich sein.“
Der Entwurf sieht zudem neue Regelungen zur Stärkung des europäischen Solidaritätsmechanismus vor. Dieser Mechanismus ist ebenfalls in der SoS-Verordnung der EU verankert. Er verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, einander zu helfen, wenn es zu Gasengpässen kommt. Die geplanten neuen Regeln würden es der Bundesregierung gestatten, die Maßnahmen aus dem EnSiG nicht nur dann zu ergreifen, wenn Deutschland in einer Energiekrise steckt, sondern auch dann, wenn andere EU-Mitgliedstaaten in eine Energiekrise geraten und formell um Unterstützung bitten.
Zudem enthält der Entwurf auch Änderungen am Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und an der Gassicherungsverordnung (GasSV). Beispielsweise sollen Betreiber von Gasspeicheranlagen künftig eine Genehmigung bei der Bundesnetzagentur einholen müssen, bevor sie eine Anlage stilllegen. Außerdem werden die Voraussetzungen geschaffen, um den Einsatz von sogenannten „kritischen Komponenten“ in der kritischen Energieinfrastrukturen zu untersagen. Dies soll beispielsweise dann möglich sein, wenn der Hersteller einer solchen kritischen Komponente durch einen Drittstaat kontrolliert wird und daher bei ihrem Einsatz die öffentliche Ordnung oder Sicherheit Deutschlands beeinträchtigt werden könnte.
Das Energiesicherungsgesetz wurde aufgrund der Ölkrisen in den 70er-Jahren eingeführt. Laut BMWK muss es angepasst werden, um der aktuellen geopolitischen Lage und der derzeitigen Energiekrise Rechnung zu tragen. Als nächstes soll der Bundestag über das geplante Gesetz beraten.