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25 May 2022, 12:00 pm
Reicht ein Arbeitgeber Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit ein, ohne die sogenannten Soll-Angaben mit zu übermitteln, ist die Anzeige dennoch wirksam, so das Bundesarbeitsgericht.
In einem noch unveröffentlichten Urteil vom 19. Mai hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) festgestellt, dass das Fehlen der sogenannten „Soll-Angaben“ gemäß Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) für sich genommen nicht zur Unwirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige des Arbeitgebers führt.
Für Johannes Altstadt, Experte für Arbeitsrechts bei Pinsent-Masons, kommt die Entscheidung des BAG nicht überraschend. „Dennoch dürfte sie vielfach für Aufatmen in Arbeitgeberkreisen sorgen, denn zum Massenentlassungsverfahren gab es gerade im Hinblick auf europarechtliche Vorgaben in der Vergangenheit schon einige überraschende Wendungen der Rechtsprechung“, so Altstadt. „Diese haben zu immer neuen rechtlichen und praktischen Fallstricken, Folgefragen und Unschärfen geführt. Angesichts der gravierenden Rechtsfolge von Fehlern im Konsultationsverfahren oder bei der Massenentlassungsanzeige – nämlich der potenziellen Nichtigkeit aller Kündigungen der Maßnahme – stehen Arbeitgeber und Ihre Berater oftmals vor erheblichen Herausforderungen.“
Will ein Unternehmen das Beschäftigungsverhältnis mehrere Arbeitnehmer zur gleichen Zeit kündigen, so kann es sich – abhängig von der Anzahl der zu entlassenden Arbeitnehmer und der Größe des Unternehmens – um eine Massenentlassung handeln. Diese muss vorab der zuständigen Agentur für Arbeit angezeigt werden. Bestimmte Angaben „muss“ die Anzeige laut Paragraf 17 Absatz 3 KSchG enthalten, andere Angaben „soll“ sie enthalten. Die „Muss-Angaben“ umfassen den Namen des Arbeitgebers, den Sitz und die Art des Betriebes, die Entlassungsgründe, die Anzahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Mitarbeiter, die Zahl der Beschäftigten insgesamt, die Kriterien, nach denen die zu entlassenden Mitarbeiter ausgewählt werden, sowie der Zeitraum, in dem die Entlassungen erfolgen sollen. „Soll-Angaben“ sind hingegen Informationen über das Geschlecht, Alter, den Beruf und die Staatsangehörigkeit der Mitarbeiter, die entlassen werden sollen. Die Bundesagentur für Arbeit trennt in ihren Formblättern und Handlungsanweisungen bisher ausdrücklich zwischen diesen Angaben.
Seit dem letzten Jahr herrschte jedoch Unklarheit darüber, ob eine Massenentlassungsanzeige nichtig ist, wenn in ihr die Soll-Angaben fehlen. So hatte das Landesarbeitsgericht Hessen am 26. Juni 2021 geurteilt, dass eine Massenentlassungsanzeige unwirksam sei, weil sie die Soll-Angaben nicht enthielt. Das Gericht stützt sich hierbei auf die Massenentlassungs-Richtlinie der EU: Lege man Paragraf 17 KSchG richtlinienkonform aus, müsse der Arbeitgeber auch die Informationen über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu kündigenden Mitarbeiter zumindest dann vor Zugang der Kündigung gegenüber der zuständigen Agentur für Arbeit angeben, wenn er über die entsprechenden Informationen verfügt oder sie beschaffen kann.
„Das Urteil hat überall dort für ein gehörigen Schrecken gesorgt, wo kürzlich ein anzeigepflichtiger Personalabbau durchgeführt wurde“, so Altstadt. „Wenn sie überhaupt gemacht wurden, reichte man die „Soll-Angaben“ bislang in aller Regel nach, die Möglichkeit hierzu ist selbst im offiziellen Formular zur Massenentlassungsanzeige der Bundesagentur für Arbeit vorgesehen. Da dies nach dem LAG Hessen nun nicht mehr genügen sollte, schwebte über einer Vielzahl von Kündigungen das Damoklesschwert der Nichtigkeit. Bei danach durchgeführten Massenentlassungen mussten die ‘Soll-Angaben‘ vorsorglich und teils mit erheblichem Aufwand ermittelt werden.“
Das Bundesarbeitsgericht setzt dem nun ein Ende, indem es das Urteil des LAG Hessen sowie ein weiteres, ähnlich gelagertes Urteil aufhob und klarstellt, dass allein das Fehlen der Soll-Angaben noch nicht zur Unwirksamkeit der Anzeige führe. Dies sei auch nicht der Wille des Gesetzgebers. „Über diese gesetzgeberische Entscheidung dürfen sich die nationalen Gerichte nicht im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung hinwegsetzen“, so das BAG. Eine „richtlinienkonforme Auslegung“ sei auch nicht nötig, da der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Frage bereits geklärt habe: In seiner Rechtsprechung habe er entschieden, dass auch die Massenentlassungs-Richtlinie nicht dazu führe, dass die Soll-Angaben in der Massenentlassungsanzeige enthalten sein müssen.
Altstadt: „Das BAG hat zum Glück klare Kante gezeigt und die eindeutige gesetzliche Regelung hervorgehoben. Auch die im Vorfeld kolportierte Möglichkeit einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof sahen die Richter nicht als nötig an. Damit ist für das Massenentlassungsverfahren zumindest ein Stück Rechtssicherheit wiederhergestellt.“