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Aussichtslose Klageverfahren: Rechtsschutzversicherer ‚können Schadensersatz fordern‘


Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes rechnen Experten mit einer Regress-Klagewelle durch Rechtsschutzversicherungen, die die Kosten für aussichtslose (Massen)Klageverfahren übernommen haben.

In einem Urteil aus September 2021 hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass ein Anwalt seinen Mandanten darüber aufklären muss, wenn sich im Zuge eines Rechtsstreits die Erfolgsaussichten verschlechtern. Dies gilt auch dann, wenn die Rechtsschutzversicherung des Mandanten bereits zugesagt hat, die Kosten für das Verfahren zu übernehmen. Einer Rechtsschutzversicherung, die die Kosten für ein Verfahren übernommen hatte, das später aufgrund einer höchstrichterlichen Grundsatzentscheidung aussichtslos geworden war, wurde vom BGH Schadensersatz für die Kosten zugesprochen, die ihr entstanden waren, da die Klägeranwälte das Verfahren weitergeführten hatten, ohne ihre rechtsschutzversicherten Mandanten über die geänderten Aussichten aufzuklären.

Dr. Dorothea Müller, Expertin für Sammelklagen bei Pinsent Masons, rechnet vor dem Hintergrund des Urteils mit einer zweiten Klagewelle – dieses Mal ausgelöst durch die Versicherungen, die die Kosten für aussichtslose Verfahren zurückfordern könnten. „Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Geduld der Rechtsschutzversicherer endet und sie sich gegen die ‚Masse-statt-Klasse‘-Mentalität der Klägervertreter zur Wehr setzen“, so Dr. Müller. „In unserer täglichen Arbeit erleben wir immer wieder Beispiele dafür, dass Kläger weder umfassend noch einzelfallbezogen beraten werden.“

In dem durch den BGH geklärten Fall hatte eine Rechtsschutzversicherung zwei Rechtsanwälte auf Rückerstattung entstandener Anwalts- und Gerichtskosten verklagt. Das Recht hierzu war von ihren Versicherungsnehmern auf sie übergegangen. Die Anwälte hatten zwei Versicherungsnehmer der Rechtsschutzversicherung in Klagen gegen den Vermittler eines Immobilienfonds vertreten. Insgesamt reichten die Anwälte rund 1.750 Klagen gegen den Fonds-Vermittler ein. Die Klage wurde im Juni 2013 erhoben. Die Rechtsschutzversicherung erklärte sich bereit, die Kosten ihrer beiden Versicherungsnehmer zu tragen. Das Landgericht wies die Klage jedoch wegen Verjährung ab. Am 12. Juni 2015 legten die Anwälte Berufung ein, die Versicherung erklärte sich erneut bereit, die Kosten hierfür zu übernehmen. Sechs Tage nachdem die Berufung eingelegt worden war, verkündete der der BGH jedoch ein Urteil, das die Anforderungen an einen die Verjährung hemmenden Güteantrag feststellte. Diesen Anforderungen genügte der Mustergüteantrag, den die Anwälte verwendet hatten, nicht. Der BGH bestätigte die Anforderungen an einen die Verjährung hemmenden Güteantrag später noch in weiteren Entscheidungen und befasste sich sogar mit genau dem Mustergüteantrag, den die Anwälte verwendet hatten.

Im September 2016 wies das Berufungsgericht die Anwälte darauf hin, dass die Berufung „offensichtlich unbegründet“ sei. Die Anwälte rieten den Versicherungsnehmern jedoch nicht, die Berufung zurückzunehmen. Im November 2016 wies das Gericht die Berufung zurück. Anschließend wurde beim BGH im Namen der Versicherungsnehmer Nichtzulassungsbeschwerde eingereicht. Auch für die Durchführung dieses Verfahrens erteilte die Rechtsschutzversicherung eine Deckungszusage. Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde im Mai 2017 zurückgewiesen.

Anschließend klagte sich die Versicherung durch mehrere Instanzen, bis sie schließlich vorm BGH die Kosten für das Berufungsverfahren und die Nichtzulassungsbeschwerde forderte. Mit dieser Klage hatte sie in weiten Teilen Erfolg. Der BGH sprach ihr ein Recht auf Schadensersatz für die Kosten zu, die ihr nach der Veröffentlichung des BGH-Urteils vom 18. Juni 2015 entstanden waren, da dies der Zeitpunkt war, zu dem die Anwälte ihre Mandanten über die fehlende Erfolgsaussicht des weiteren Verfahrens hätten aufklären müssen.

Der BGH stellte klar, dass ein Anwalt dazu verpflichtet sei, seinen Mandanten über die Erfolgsaussichten eines Verfahrens zu informieren und zu beraten – auch in Bezug auf eine Änderung der Rechtslage durch höchstrichterliche Entscheidungen im Laufe des Mandats. Dabei sei unerheblich, ob der Mandant eine Rechtsschutzversicherung hat, die die Kosten für das Verfahren trägt. Wenn ein Rechtstreit aussichtslos ist, müsse der Anwalt dies seinem Mandanten klar und auch für Laien verständlich mitteilen.

Der BGH stellte allerdings auch klar, dass ein Anwalt, der seinen Mandanten über die Aussichtslosigkeit eines Verfahrens aufgeklärt hat, das Verfahren dennoch weiterführen kann, sofern der Mandant darauf besteht. Entscheidend sei lediglich, dass der Rechtsanwalt den Mandanten ordnungsgemäß beraten hat.

Doch nicht immer, wenn ein Anwalt es versäumt hat, seinen Mandanten angemessen über die Erfolgsaussichten eines Verfahrens zu informieren, führe dies auch zu einem Anspruch auf Kostenerstattung, so der BGH weiter: Aus seinem Urteil geht hervor, dass vor allem entscheidend ist, wie sich der Mandant voraussichtlich verhalten hätte, wäre er über die Erfolgsaussichten aufgeklärt worden. Hierbei könnte es durchaus von Bedeutung sein, ob der Mandant eine Rechtsschutzversicherung hat, die zugesagt hat, die Kosten des Verfahrens zu tragen, da Mandanten sich in solchen Fällen risikofreudiger verhalten. Der BGH nimmt jedoch an, dass selbst durch eine Versicherung abgesicherte Mandanten einen vollständig aussichtslosen Fall nicht weiterverfolgen würden, wenn sie ihr Anwalt über die Aussichtslosigkeit aufklärt.

„Der BGH macht deutlich, dass Klägervertreter ihre Mandanten stets umfassend und gründlich beraten und darüber informieren müssen, wenn sich die Erfolgsaussichten eines Verfahrens aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen ändern. Dass eine Rechtsschutzversicherung Deckungszusage erteilt hat, entbindet sie nicht von dieser Pflicht, insbesondere nicht bei objektiver Aussichtslosigkeit der geführten Prozesse“, so Dr. Müller.

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