Out-Law Guide Lesedauer: 6 Min.
24 Oct 2019, 12:00 am
Im Januar 2019 entschied der Bundesgerichtshof, dass für eine Verfügung über das Vermögen im Ganzen die Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich ist und korrigierte damit eine seit 25 Jahren bestehende Urteilsauslegung.
Seit einem Urteil aus dem Jahr 1995 vertrat man die Auffassung, das § 179a Aktiengesetz (AktG) bei Personengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) in diesem Fall entsprechend (analog) anzuwenden sei.
In seinem Urteil stellt der BGH klar, dass das Erfordernis der Zustimmung aller Gesellschafter nicht auf eine analoge Anwendung der Gesetzesvorschrift zurückzuführen ist, sondern auf den außergewöhnlichen Charakter der Maßnahme selbst. Die Zustimmung hat nunmehr eine andere Wirkung als bisher. Dies wird sich auf viele vermögensbezogene Transaktionen mit GmbH-Gesellschaften und Personengesellschaften auswirken.
Der nachfolgende Aufsatz beschreibt, welche zivil- und gesellschaftsrechtlichen Zustimmungen für die Veräußerung des Vermögens im Ganzen im Rahmen von M&A-Transaktionen bei den unterschiedlichen Gesellschaftsformen nach deutschem Recht erforderlich sind.
Eine Besonderheit des deutschen Rechts ist das sogenannte Trennungs- und Abstraktionsprinzip. Es unterscheidet das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft (also den Vertrag) und das dingliche Verfügungsgeschäft (die tatsächliche Einräumung des Eigentums an einer Sache). Beides kann für sich wirksam oder unwirksam sein. Die Folgen einer Unwirksamkeit sind dann unter anderem Ansprüche auf Rückabwicklung, Herausgabe oder Schadensersatz. Eine Verfügung über das Vermögen im Ganzen liegt in den beschriebenen Fällen immer dann vor, wenn entweder tatsächlich über das ganze Vermögen verfügt wird oder wenn Einzelgegenstände übertragen werden (sollen), die beinahe das ganze Vermögen darstellen, und die zurückbleibenden Gegenstände oder Forderungen keine wesentlichen Vermögensgegenstände des übertragenden Rechtsträger darstellen. Bei gesellschaftsrechtlichen Transaktionen sind die Zustimmungserfordernisse sowohl beim Share Deal als auch beim Asset Deal von besonderer Bedeutung.
Zivilrechtliche Zustimmungserfordernisse entstammen dem Familienrecht. Die Erhaltung des Vermögens als wirtschaftliche Existenzgrundlage der Ehegemeinschaft bzw. die Erhaltung des Anspruchs auf Vermögensausgleich nach Beendigung einer solchen ist Schutzzweck des § 1365 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Eine Verfügung über mehr als 90% des Gesamtvermögens eines Ehegatten soll nur dann wirksam sein, wenn auch der andere Ehegatte zustimmt. Die Zustimmung richtet sich auf das Verfügungsgeschäft. Hat ein Ehegatte dem Verpflichtungsgeschäft - also dem Vertrag - zugestimmt, deckt diese auch das Verfügungsgeschäft. Fehlt eine Zustimmung, ist die Verfügung gegenüber dem Dritten unwirksam. Eine nachträgliche Genehmigung ist möglich. Durch Ehevertrag kann die Regelung abbedungen werden. Eine vergleichbare Regelung für das Verpflichtungsgeschäft bei der Ehe in Form der Gütergemeinschaft sieht das Gesetz in § 1423 Satz 1 BGB vor. Die Vorschrift hat besitzt heute nur noch wenig praktische Relevanz, folgt aber aber den gleichen Grundsätzen wie § 1365 BGB.
Auch das Vermögen eines Minderjährigen soll vor dem ungehinderten Zugriff eines Vormundes geschützt sein. Ein Vormund kann nach § 1822 Nr. 1 BGB nur dann ein Verpflichtungsgeschäft zur Verfügung über das Vermögen im Ganzen eingehen, wenn das zuständige Familiengericht diesem Geschäft zugestimmt hat. Ausnahmsweise wendet die Rechtsprechung hier die sogenannte "Gesamttheorie" an, nach der die Verpflichtung zur Verfügung tatsächlich das ganze gegenwärtige Vermögen des Minderjährigen betreffen muss. Fehlt eine solche Zustimmung, kann eine nachträgliche Genehmigung durch das Familiengericht eingeholt werden. Andernfalls ist der Vertrag unwirksam und der Minderjährige hierdurch nicht gebunden.
Verkauft ein Ehegatte aus seinem Vermögen im Rahmen eines Share Deal Geschäftsanteile, ist grundsätzlich zu empfehlen, die schriftliche Zustimmung des anderen Ehegatten im Vorfeld einer M&A-Transaktion einzuholen. Das gilt unabhängig davon, ob nur Anteile an einer Gesellschaft oder die gesamte Gesellschaft verkauft werden soll oder, ob dem Käufer später noch eine Kaufoption für weitere Geschäftsanteile eingeräumt wird. Der Familienstand eines Verkäufers ist frühzeitig zu klären. Dies gilt auch, wenn Anteile an einer Gesellschaft nur treuhänderisch gehalten werden und der Treuhänder Geschäftsanteile für den Treugeber (als eigentlich wirtschaftlich Berechtigten) verkauft. Der Tatbestand einer Verfügung über das Vermögen im Ganzen kann auch bei der Beendigung einer Gesellschaft oder der Aufnahme neuer Gesellschafter in die Gesellschaft erfüllt sein. Die Einbringung eines Handelsgeschäfts in eine Gesellschaft mag ebenfalls Zustimmungserfordernisse hervorrufen.
Räumt man dem Gesellschafterkreis bestimmte Zustimmungsvorbehalte für Geschäfte der Gesellschaft mit Dritten ein, stellt dies eine Beschränkung der Vertretungsbefugnisse der gesetzlichen Vertreter dar. Gesellschaften werden durch ihre Organe vertreten. Bei der Aktiengesellschaft (AG), der GmbH und den Personenhandelsgesellschaften - wie der offenen Handelsgesellschaft (OHG) oder Kommanditgesellschaft (KG) - sind dies der Vorstand, der Geschäftsführer und die persönlich haftenden Gesellschafter. Beschränkungen der Vertretungsmacht entfalten Dritten gegenüber keine Wirkung, sodass Dritte grundsätzlich auf die unbeschränkte Vertretungsmacht und damit die Wirksamkeit der Rechtsverhältnisse von gesetzlichen Vertretern vertrauen dürfen. Beschränkungen im Innenverhältnis, die sich aus einer Geschäftsordnung oder dem Gesellschaftsvertrag bzw. der Satzung ergeben, hat ein Dritter nicht zu prüfen. Dieser Grundsatz findet bei Verfügungen über das Vermögen im Ganzen zwei Durchbrechungen: Im Insolvenzverfahren nach §§ 69, 160 Insolvenzordnung und bei Aktiengesellschaften nach § 179a AktG.
Will eine Aktiengesellschaft über ihr Vermögen im Ganzen verfügen, bedarf das Verpflichtungsgeschäft zwingend eines Zustimmungsbeschlusses der Hauptversammlung. Die Zustimmung muss von mindestens 75 % des vertretenen Grundkapitals erteilt werden und richtet sich auf den ganzen Vertrag einschließlich der Anlagen. Den Vorstand treffen im Vorfeld besondere Informations- und Auskunftspflichten gegenüber den Aktionären. Ändert sich der Vertragsinhalt, ist ein neuer Beschluss erforderlich. Die Vorschrift verweist auf die Formvorschriften für die Beschlussfassung bei Satzungsänderung, sodass der Beschluss notariell zu beurkunden ist. Fehlt die Zustimmung, ist der Vertrag schwebend unwirksam und kann nachträglich genehmigt werden. Die fehlende Zustimmung hat damit Außenwirkung gegenüber Dritten. Eine Abdingbarkeit der Vorschrift in der Satzung der Gesellschaft ist nicht möglich. Die Vorschrift gilt auch für Projekt- und Holdinggesellschaften sowie für die Kommanditgesellschaft auf Aktie (KGaA) und bereits in Liquidation befindliche Gesellschaften. Geht die Veräußerung des Vermögens mit einer Änderung des Unternehmensgegenstandes einher, sind zwei Hauptversammlungsbeschlüsse herbeizuführen.
Anhand der Geschichte und dem Schutzzweck der Norm sowie der strukturellen und konzeptionellen Verschiedenheit von AG und GmbH entwickelt der BGH seine Urteilsbegründung und stellt somit im ersten Leitsatz seiner Entscheidung eindeutig klar: "§ 179a AktG ist auf die GmbH nicht analog anwendbar." Das GmbHG kennt eine dem § 179a AktG vergleichbare Regelung nicht. Eine nicht gesetzlich geregelte Beschränkung der umfassenden Vertretungsmacht des GmbH-Geschäftsführers im Außenverhältnis führt jedoch zu erheblichen Unsicherheiten im Rechtsverkehr zulasten Dritter. Eine Vorschrift wird aber nur dann analog angewendet, wenn eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz - hier das GmbHG - existiert und der zugrundeliegende Sachverhalt in beiden Fällen vergleichbar ist, sodass angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber im Rahmen einer Interessenabwägung zum gleichen Abwägungsergebnis gekommen wäre. Der BGH führt indes aus, dass die Stellung und Schutzbedürftigkeit der Gesellschafter einer GmbH nicht mit der Stellung von Aktionären einer AG (bzw. KGaA) vergleichbar ist. Der GmbH-Gesellschafter kann Weisungen an die Geschäftsführung erteilen, trifft strukturelle Entscheidungen und hat umfassende Kontroll- und Informationsrechte, anders als der Aktionär einer AG. Bereits ohne eine analoge Anwendung des § 179a AktG kann die Gesellschafterversammlung die darin normierten Informationsrechte durchsetzen.
Nichtsdestotrotz sieht der BGH die Zustimmung der Gesellschafterversammlung als erforderlich an, wenn über das Vermögen im Ganzen verfügt werden soll. Es handelt sich dann um ein sogenanntes "besonders bedeutsames Geschäft" für die GmbH. Unerheblich ist es daher, ob der Gesellschaftsvertrag der GmbH eine solche Zustimmung vorsieht. Anders als bisher soll eine fehlende Zustimmung jedoch nur im Innenverhältnis wirken. Eine nachträgliche Genehmigung bleibt möglich. Hat der Geschäftsführer die Zustimmung nicht eingeholt, macht er sich gegebenenfalls schadensersatzpflichtig. Im Außenverhältnis bleibt der Vertrag wirksam. Nur wenn der Vertragspartner wusste oder hätte wissen müssen, dass der Geschäftsführer seine Vertretungsmacht missbraucht, ist der Vertrag auch im Außenverhältnis unwirksam. Der BGH schweigt, ob für den Beschluss eine andere als die einfache Mehrheit erforderlich ist. Mittlerweile gibt es einzelne Stimmen, die weiterhin von einer Beurkundungspflicht für den Gesellschafterbeschlusses ausgehen und diese aus § 53 Absatz 2 GmbHG entsprechend ableiten. Der BGH hat in seiner Entscheidung eine solche Pflicht jedoch gerade nicht aufgegriffen, sodass die notarielle Beurkundung des Gesellschafterbeschlusses nicht erforderlich sein dürfte.
Das Zustimmungserfordernis greift sowohl bei der Verfügung über einzelne Vermögensgegenstände wie auch über Anteile an einer Gesellschaft, wenn diese das Vermögen der Gesellschaft darstellen. Für die Praxis ist zu empfehlen eine entsprechende Regelung in den Gesellschaftsvertrag der GmbH aufzunehmen und auch Regelungen zu den erforderlichen Mehrheiten zu treffen. Die Übertragung von Vermögen auf einen Dritten oder einen Mehrheitsgesellschafter zulasten von Minderheitsgesellschaftern kann erschwert werden. Den Gesellschaftern einer GmbH ist es nach dem Urteil nunmehr auch möglich, zum Erhalt des Gesellschaftsvermögens den guten Glauben eines Dritten im Vorfeld zu erschüttern und so eine Unwirksamkeit eines Verpflichtungsgeschäftes im Außenverhältnis zu herbeizuführen.
Noch hat der BGH die (Nicht-)Anwendung des § 179a AktG nur für die GmbH klargestellt. Ein Verfahren, in dem es um die Anwendbarkeit des § 179a AktG bei Personenhandelsgesellschaften geht, ist bereits beim BGH rechtshängig und soll demnächst entschieden werden. Es ist zu erwarten, dass das Gericht auch hier zu demselben Ergebnis kommen wird. Bei der Personenhandelsgesellschaft gilt das sogenannte "Prinzip der Selbstorganschaft". Die Gesellschafter üben selbst die Geschäftsführung aus, sodass eine entsprechende Anwendung des § 179a AktG erst recht nicht in Betracht kommen kann.
Bis das Gericht eine Entscheidung getroffen hat, ist weiterhin zu empfehlen, von einer analogen Anwendung des § 179a AktG bei der Personengesellschaft auszugehen und einen einstimmigen Gesellschafterbeschluss herbeizuführen. Der Beschluss für eine Änderung des Gesellschaftsvertrages bei der Personenhandelsgesellschaft ist formfrei und notariell nicht zu beurkunden.