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BMJ schlägt Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts vor


Das Bundesjustizministerium hat einen Referentenentwurf zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts vorgelegt. Ziel dieses Gesetzes ist die Modernisierung des deutschen Schiedsverfahrensrechts.

Das 10. Buch der Zivilprozessordnung (ZPO) wurde zuletzt vor 25 Jahren umfassend überarbeitet. Der am 1. Februar vorgelegte Gesetzesentwurf folgt auf das am 18. April 2023 veröffentlichte Eckpunktepapier, welches 12 Eckpunkte für einen Gesetzesentwurf sowie vier weitere Themen als weitere mögliche Reformgegenstände für das deutsche Schiedsverfahrensrecht präsentierte.

Der Entwurf strebt an, das Schiedsverfahrensrecht, insbesondere im Hinblick auf die Handelsschiedsgerichtsbarkeit, zeitgemäß zu gestalten, seine Leistungsfähigkeit zu steigern und Deutschland als international attraktiven Schiedsstandort zu stärken.

Um dieses Ziel zu erreichen, werden vier wesentliche Änderungen vorgeschlagen: (1) Die Formfreiheit für Schiedsvereinbarungen im Wirtschaftsverkehr , (2) die Stärkung der Transparenz und die Förderung der Rechtsfortbildung, (3)die Stärkung der Digitalisierung des Verfahrensrechts sowie (4) die  Förderung der englischen Sprache in Verfahren vor staatlichen Gerichten.

Formfreiheit bei Schiedsvereinbarungen im Wirtschaftsverkehr

„Die Änderung war bereits im Eckpunktepapier vorgesehen und soll nun durch einen neu eingefügten Abs. 4 in § 1031 ZPO-E umgesetzt werden,“ so Dr. Sandra Gröschel, Expertin für Schieds- und Gerichtsverfahren bei Pinsent Masons. „Danach ist die Einhaltung der Form nach Absatz 1 nicht erforderlich, wenn die Schiedsvereinbarung für alle Parteien ein Handelsgeschäft ist. Wurde die Schiedsvereinbarung formlos geschlossen, kann jede Partei verlangen, dass ihr die andere Partei den Inhalt der Schiedsvereinbarung in Textform bestätigt. Für Verbraucherschiedsvereinbarungen soll sich jedoch an dem derzeitig hohem Schutzniveau nichts ändern.“

Auf diesem Wege sollen mehr Klarheit und Sicherheit für Parteien geschaffen werden und Streitigkeiten über die Gültigkeit oder Durchsetzbarkeit solcher Klauseln vermieden werden. Dies kann den Parteien Zeit und Geld sparen und die Effizienz des Schiedsverfahrens erhöhen.

Allerdings ist dieser Vorschlag heftig umstritten. Denn das alte Schiedsverfahrensrecht vor 1998 kannte diese formlose Abschlussmöglichkeit von Schiedsvereinbarungen bereits. Sie wurde lediglich deshalb aufgegeben und durch den heutigen § 1031 ZPO ersetzt, um sie an die Vorgaben des UNCITRAL-Modellgesetzes 1985 anzugleichen.

Insbesondere die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), der Deutsche Anwaltverein (DAV) und die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) haben sich gegen eine solche formlose Abschlussmöglichkeit geäußert. Denn Streitigkeiten über den Abschluss und Inhalt von Schiedsvereinbarungen wären vorprogrammiert und es würden Beweisschwierigkeiten auftreten, da es schwierig vorstellbar ist, alle Details einer üblichen Schiedsklausel (Schiedsort, Institution, Anzahl der Schiedsrichter, Verfahrenssprache etc.) rein mündlich zu vereinbaren. Zu den Stimmen, die sich für den formlosen Abschluss von Schiedsvereinbarungen aussprechen, gehört hingegen insbesondere die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS). Durch die Absenkung der Formvorgaben für Schiedsvereinbarungen würde die Parteiautonomie respektiert und vermehrt den Gepflogenheiten des elektronischen Rechtsverkehrs Rechnung getragen.

Verbesserung der Transparenz durch die Veröffentlichung von Schiedssprüchen

Ein weiterer Schwerpunkt des Referentenentwurfs liegt auf der Schaffung von mehr Transparenz durch die Veröffentlichung von Schiedssprüchen. Der neu geplante § 1054b ZPO-E gibt vor, dass mit Zustimmung der Parteien das Schiedsgericht den Schiedsspruch und ein etwaiges Sondervotum ganz oder in Teilen in anonymisierter oder pseudonymisierter Form veröffentlichen oder eine solche Veröffentlichung veranlassen darf. Die Zustimmung einer Partei gilt als erteilt, wenn diese der Veröffentlichung nicht innerhalb eines Monats, nachdem ihr die Aufforderung zur Zustimmung durch das Schiedsgericht zugegangen ist, widersprochen hat und sie zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist.

Durch das Veto-Recht der Parteien ist sichergestellt, dass das Geheimhaltungsinteresse der Parteien und Persönlichkeitsrechte Dritter geschützt werden, falls erforderlich. Gemessen an der bisherigen Bereitschaft von Schiedsparteien, die getroffenen Schiedssprüche zu veröffentlichen, stellt sich aber die Frage, ob durch die Regelung tatsächlich mehr Transparenz geschaffen werden kann.

„Viel wahrscheinlicher erscheint es, dass die Parteien keine Zustimmung erteilen werden und dies bereits in einer Verfahrensverfügung entsprechend regeln. Letztlich dürfte es gerade die Nicht-Öffentlichkeit von Schiedsverfahren sein, die Parteien dazu veranlasst, überhaupt eine Schiedsvereinbarung abzuschließen. Das Interesse des Gesetzgebers, die Rechtsfortbildung auch in den Bereichen, in denen klassischerweise Schiedsverfahren durchgeführt werden (z. B. Post M&A Verfahren), zu unterstützen, ist nachvollziehbar. Die Regelung in dem aktuellen Referentenentwurf wird jedoch wahrscheinlich zu keiner Verbesserung in dieser Hinsicht führen, weil sich die Parteien nicht darauf einlassen werden. Es wären folglich Alternativen zu überlegen, die dem öffentlichen Interesse an der Rechtsfortbildung zu dienen vermögen,“ so Lisa Oettig, Expertin für Schieds- und Gerichtsverfahren bei Pinsent Masons.

Des Weiteren soll durch den Referentenentwurf die Digitalisierung im deutschen Schiedsverfahrensrecht weiter vorangetrieben werden. Die geplante Reform ermöglicht Videoverhandlungen vor Schiedsgerichten (§ 1047 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO-E) und erlaubt Schiedsgerichten, Schiedssprüche elektronisch zu erlassen, versehen mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der Schiedsrichter (§ 1054 Abs. 2 ZPO-E).

Der Vorschlag einer dispositiven gesetzlichen Regelung für die Durchführung von mündlichen Verhandlungen durch Bild- und Tonübertragungen ist wenig überraschend, kennen doch verschiedene institutionelle Regelungen bereits diese Möglichkeit. Darüber hinaus wurden – insbesondere in den letzten Jahren – viele positive Erfahrungen in der schiedsrechtlichen Praxis durch den Einsatz der digitalen Technik gemacht, sei es allein die Kosten- und Effizienzersparnis für sonst notwendige Reisen bis hin zur Möglichkeit, Verhandlungen leichter und kostengünstiger mittels Transkriptionstechnologien zu dokumentieren.

Abweichend vom Leitbild eines Schiedsspruchs nach § 1054 Abs. 1 ZPO, soll § 1054 Absatz 2 ZPO-E ermöglichen, dass ein Schiedsspruch auch in einem elektronischen Dokument enthalten sein kann. Auf diese Weise wird die Rechtslage für Schiedssprüche an diejenige für gerichtliche Urteile und Beschlüsse angeglichen. Auch einige andere Rechtsordnungen sehen bereits die Möglichkeit vor, einen Schiedsspruch in elektronischer Form zu erlassen.

„Die Ausfertigung des Schiedsspruchs in einem elektronischen Dokument nach § 1054 Abs 2 ZPO-E ist jedoch dispositiv, d.h. die Parteien können einer elektronischen Ausfertigung widersprechen. Vor dem Hintergrund einer gegebenenfalls einfacheren internationalen Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung eines entsprechend erlassenen Schiedsspruchs kann es von Vorteil sein, bei der bisherigen Regelung zu bleiben. Darüber hinaus steht nicht jedem Schiedsgericht die erforderliche technische Ausstattung zur Verfügung,“ so Sandra Gröschel.

Englisch als Verfahrenssprache auch bei Übergang ins staatliche Verfahren

Laut dem Referentenentwurf ist es geplant, dass „jedes Dokument“ in englischer Sprache, das in einem schiedsrichterlichen Verfahren erstellt oder vorgelegt worden ist, von den Parteien in einem schiedsbezogenen Verfahren vor staatlichen Gerichten ebenfalls in englischer Sprache vorgelegt werden kann (§ 1063b ZPO-E).

Der Begriff „Dokument“ ist dabei gewählt worden, um jede Art von Urkunden, elektronischen Dokumenten und sonstigen Schriftstücken zu erfassen und damit eine möglichst weitgehende Anwendbarkeit zu gewährleisten. Es besteht für die Parteien somit grundsätzlich keine Notwendigkeit, für das jeweilige Dokument eine Übersetzung beizubringen, was den Parteien nicht nur die dafür anfallenden Kosten, sondern auch die dafür notwendige Zeit erspart.

„Für die Anwendung von § 1063b ZPO-E kommt es nicht darauf an, vor welchem Gericht beziehungsweise vor welchem Spruchkörper verhandelt wird. Die Vorschrift ist vielmehr in sämtlichen Verfahren anzuwenden, die in § 1062 Absatz 1 und 4 ZPO-E bezeichnet und in deutscher Sprache geführt werden,“ so Oettig.

Mit der Einführung von Commercial Courts bei bestimmten Oberlandesgerichten bzw. Obersten Landesgerichten werden die Länder vorsehen können, dass diese Gerichte ihre Verfahren nach entsprechender Parteivereinbarung vollständig in englischer Sprache führen.

Durch § 1063a Absatz 1 ZPO-E wird ermöglicht, dass Commercial Courts, die durch Landesrechtsverordnung zur Entscheidung der in § 1062 Absatz 1 ZPO-E bezeichneten Verfahren bestimmt wurden, auch diese Verfahren vollständig in englischer Sprache führen können, wenn die Parteien dies vereinbart haben. Für sich gegebenenfalls daran anschließende Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof wird diese Möglichkeit ebenfalls geschaffen (§ 1065 Absatz 3 und 4 ZPO-E). Zunächst ist davon auszugehen, dass in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen Commercial Courts eingerichtet werden.

Beide Änderungen sollen die internationale Ausrichtung des deutschen Schiedsverfahrensrechts unterstreichen.

Neuheit: Regelung zu Sondervoten

Das Eckpunktepapier enthielt noch weitere Themen, welche im Zuge der Erarbeitung des Gesetzesentwurfs „ergebnisoffen“ geprüft werden sollten. Von den aufgeführten Themen im Eckpunktepapier (Eilschiedsrichter, dissenting opinion, die Bildung von gemeinsamen Schiedssenaten beim Oberlandesgericht über Ländergrenzen hinweg und die Übertragung von richterlichen Unterstützungshandlungen nach §§ 1062 Abs. 4, 1050 ZPO vom Amtsgericht auf das Oberlandesgericht) wurde lediglich eine Regelung in Bezug auf sogenannte Sondervoten in den Referentenentwurf aufgenommen.

§ 1054 Abs. 1 ZPO-E sieht vor, dass ein Schiedsrichter seine in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu dem Schiedsspruch oder zu dessen Begründung in einem Sondervotum niederlegen kann, sofern die Parteien nichts anderes vereinbaren. Das Sondervotum soll kein Bestandteil des Schiedsspruchs sein. Es ist schriftlich niederzulegen und vom Schiedsrichter zu unterschreiben.

Die Zulässigkeit von schiedsrichterlichen Sondervoten bei deutschem Schiedsort ist bislang lebhaft umstritten. Für die Zukunft soll klargestellt werden, dass in schiedsrichterlichen Verfahren mit mehr als einem Schiedsrichter auch bei einem deutschen Schiedsort ein Sondervotum abgegeben werden kann. Schiedssprüche, denen sich ein Sondervotum anschließt, sollten sich deshalb künftig keinen Bedenken mehr im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem verfahrensrechtlichen ordre public ausgesetzt sehen.

Durch die ausdrückliche gesetzliche Zulassung von Sondervoten wird erreicht, dass ein in der Beratung unterlegener Schiedsrichter seiner abweichenden Meinung dennoch Ausdruck verschaffen und diese Meinung den Parteien auch unterbreiten kann. Auf diese Weise kann die Qualität schiedsrichterlicher Streitbeilegung erhöht und den Parteien durch die Verschriftlichung der – in der Minderheit gebliebenen – Argumente zugleich aufgezeigt werden, dass sich das Schiedsgericht auch mit denjenigen Argumenten befasst hat, welche den Schiedsspruch schlussendlich nicht getragen haben.

Streitbeilegung made in Germany

Die Modernisierung des deutschen Schiedsverfahrensrechts soll die Flexibilität und Effizienz des gesetzlich vorgesehenen Schiedsverfahrens erhöhen und es zu einer attraktiveren Option für die Beilegung von Streitigkeiten machen. Das „Rezept“ dafür soll „weniger Formalismus“ und „mehr Offenheit für digitale Lösungen“ sein. Es bleibt abzuwarten, ob die geplanten Änderungen neuen Schwung in das seit 25 Jahren bestehende und grundsätzlich bewährte System des deutschen Schiedsverfahrensrecht bringen werden.

Interessierte Parteien haben nun bis zum 14. März 2024 die Möglichkeit, zu den geplanten Änderungen Stellung zu nehmen.

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