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Arbeitszeiterfassung: BAG veröffentlicht Entscheidungsgründe, BMAS legt nach


Nachdem das Bundesarbeitsgericht im September entschieden hatte, dass Arbeitgeber ein System zur Arbeitszeiterfassung einrichten müssen, liegen nun etwas konkretere Informationen dazu vor, wie das System auszusehen hat.

Jahrelang wurde in Deutschland darüber debattiert, ob Arbeitgeber dazu verpflichtet sind, die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer umfassend zu erfassen. Im September setzte das Bundesarbeitsgericht (BAG) der Debatte mit einer Grundsatz-Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung ein Ende: Arbeitgeber sind dazu verpflichtet, die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer zu erfassen, so das Gericht. Nun liegt auch der Beschluss des Gerichts im Volltext vor, der wichtige Fragen in Bezug auf die Zeiterfassung beantwortet.

BAG macht Vorgaben zur Zeiterfassung

Aus dem Beschluss des BAG geht hervor, dass Arbeitgeber ein System etablieren müssen, das Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit erfasst, einschließlich Pausenzeiten und Überstunden. Den Arbeitnehmern lediglich ein entsprechendes System zur Arbeitszeiterfassung bereitzustellen, reicht nicht aus. Arbeitgeber dürfen die Zeiterfassung zwar an die Beschäftigten delegieren, müssen aber auch dafür Sorge tragen, dass das System angewendet wird. Stichprobenartige Kontrollen durch den Arbeitgeber werden also unerlässlich sein.

Dabei steht es Arbeitgebern frei, wie sie das Zeiterfassungssystem ausgestalten und ob es sich beispielsweise um ein manuelles oder ein digitales System handeln soll.

Allerdings betont das BAG auch, dass nicht einfach das kostengünstigste System eingerichtet werden darf: Arbeitgeber müssen ein System etablieren, das der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz ihrer Arbeitnehmer angemessen Rechnung trägt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die gesetzlichen Regeln zum Datenschutz eingehalten werden.

Im ersten Leitsatz der Entscheidungsgründe wird auch der Anwendungsbereich klargestellt. Die Ausnahmen der Arbeitszeitrichtlinie finden Anwendung, sodass derzeit bei leitenden Angestellten weiterhin keine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht. Allerdings ist nicht jede Führungskraft automatisch leitender Angestellter, so dass hier gegebenenfalls eine Prüfung im Einzelfall vorgenommen werden muss.

Die Entscheidungsgründe enthalten keine Übergangsfrist, die Pflicht besteht also ab sofort für alle Arbeitgeber unabhängig von ihrer Größe. Arbeitgeber, die bisher gänzlich ohne Zeiterfassung agiert haben, sollten somit spätestens jetzt ein System zur Arbeitszeiterfassung etablieren, das den Anforderungen des BAG entspricht. Falls es im Betrieb bereits ein Arbeitszeiterfassungssystem gibt, sollte überprüft werden, ob es den Anforderungen genügt. Ist dies nicht der Fall, sollte es entsprechend geändert werden.

Das Ende der Vertrauensarbeitszeit?

Viele Arbeitgeber hatten nach Bekanntwerden des BAG-Beschlusses befürchtet, dass dies nun ein Ende der vielerorts beliebten Vertrauensarbeitszeit bedeutet, bei der Arbeitnehmer relativ frei gestalten können, wann sie ihre geschuldete Arbeitszeit ableisten, solange sie sich an die gesetzlichen Vorgaben zu Ruhezeiten und Maximalarbeitszeit halten. Dies ist allerdings im Rahmen der vorgenannten Definition nicht der Fall: Arbeitgeber können Arbeitnehmern auch weiterhin große Freiheiten bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeit einräumen. Sie müssen lediglich dafür sorgen, dass die Arbeitszeiten ordnungsgemäß aufgezeichnet werden. Sofern aber unter Vertrauensarbeitszeit im Unternehmen das Arbeiten ohne Zeiterfassung verstanden wird, ist eine solche nicht mehr möglich.

Die Rolle des Betriebsrats

In dem nun durch das BAG entschiedenen Verfahren stritten Arbeitgeber und Betriebsrat einer vollstationären Wohneinrichtung eigentlich darüber, ob dem Betriebsrat ein Initiativrecht bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zustehe. Die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Hamm, gestand dem Betriebsrat dabei ein solches Initiativrecht zu. In der vor dem BAG geführten Revision scheiterte der Betriebsrat mit seiner Forderung: Ein Initiativrecht könne schon deshalb nicht bestehen, da es bereits eine gesetzliche Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung gebe, begründete das BAG seine Entscheidung. Bei der Ausgestaltung des Zeiterfassungssystems müsse der Betriebsrat jedoch mit eingebunden werden.

BAG verweist auf Rechtsprechung des EuGH

Die Pflicht zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems begründet sich dem BAG zufolge aus der Auslegung des deutschen Arbeitsschutzgesetzes in Verbindung mit dem sogenannten Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2019. Mit seinem vieldiskutierten Stechuhr-Urteil hatte der EuGH alle EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, ihre Gesetze dahingehend zu ändern, dass sie Arbeitgeber dazu verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen. Das Urteil wurde bisher in Deutschland nicht durch eine entsprechende Gesetzesänderung umgesetzt. Eine Pflicht hierzu besteht nach überwiegender Ansicht aber auch nicht.  Es wurde in diesem Zusammenhang Kritik laut, dass das BAG daher nun als „Ersatzgesetzgeber“ auftreten musste.

BMAS veröffentlicht FAQ

Zwischenzeitlich reagierte auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf die Veröffentlichung des BAG-Beschlusses und lud einen FAQ auf seiner Website hoch. Mit seinem Beschluss habe das BAG verbindlich entschieden, dass das Stechuhr-Urteil des EuGH auch von den deutschen Arbeitgebern beachtet werden muss, heißt es darin: „Nach der BAG-Entscheidung ist das Urteil des EuGH aufgrund des Arbeitsschutzgesetzes bereits heute von den Arbeitgebern in Deutschland zu beachten.“.

Auch beantwortet das BMAS die Frage, ob Arbeitgeber mit der Arbeitszeiterfassung warten dürfen, bis das Arbeitszeitgesetz an die Rechtsprechung des BAG angepasst ist, ganz klar mit „Nein“. Das BAG habe in seiner Entscheidung vom 13. September 2022 verbindlich festgestellt, dass auch in Deutschland die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufzuzeichnen ist, so das BMAS.

Das BMAS nimmt auch weiter ganz klar Stellung: Nach der Entscheidung des BAG reicht es nicht mehr aus, wenn der Arbeitgeber die Arbeitszeit entsprechend den derzeitigen Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes aufzeichnet. Es führt aus, dass Paragraf 16 Absatz 2 des Arbeitszeitgesetzes den Vorgaben des BAG und des EuGH nicht genügt. Nach der Entscheidung des BAG ist die gesamte Arbeitszeit aufzuzeichnen.

Zudem betont es, dass auch beim mobilen Arbeiten – beispielsweise aus dem Homeoffice – die Arbeitszeiten erfasst werden müssen.

BMAS kündigt Änderung des Arbeitszeitgesetzes an

Einen Vorschlag zur Anpassung des Arbeitszeitgesetzes will das BMAS im ersten Quartal 2023 vorlegen.

Arbeitgeber sollten sich aber nicht darauf verlassen und darauf warten, dass ein solcher Vorschlag auch wirklich bald kommt, sondern vielmehr die Einführung eines Zeiterfassungssystems beziehungsweise die Überprüfung des bestehenden Systems zeitnah im neuen Kalenderjahr in Angriff nehmen, ohne dabei überhastete Entscheidungen zu treffen. Aufgrund des vom BAG bejahten umfassenden Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats sollten Arbeitgeber proaktiv mit Lösungen auf den Betriebsrat zugehen und nicht abwarten, bis der Betriebsrat die treibende Kraft wird.

Sanktionen bei Tatenlosigkeit

Es ist weiterhin nicht mit unmittelbaren Bußgeldern zu rechnen, denn das Arbeitsschutzgesetz knüpft Bußgelder im Gegensatz zum Arbeitszeitgesetz nur an einen Verstoß gegen Rechtsverordnungen oder vollziehbare Anordnungen von (Arbeitsschutz-)behörden. Beides liegt bei einer bloßen Nichterfassung der Arbeitszeiten ohne konkrete Anordnung einer Behörde nicht vor. Ob und in welchem Umfang Aufsichtsbehörden gegenüber einzelnen Arbeitgebern in der Zukunft basierend auf der BAG-Entscheidung und den Aussagen des BMAS Anordnungen zur Einführung einer Arbeitszeiterfassung erlassen oder Überprüfungen von bereits bestehenden Systemen vornehmen werden, bleibt abzuwarten.

Laut dem FAQ des BMAS können bei Verstößen zum Beispiel Nachbesserungen verlangt oder gegebenenfalls auch Bußgelder verhängt werden, deren Höhe im Einzelfall an die Schwere des jeweiligen Rechtsverstoßes angepasst werden.

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