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Insolvenzantragspflicht bleibt für einige Unternehmen ausgesetzt


Die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, bleibt bis Jahresende ausgesetzt, allerdings nur für überschuldete und dennoch zahlungsfähige Unternehmen. Geschäftsleiter, deren Unternehmen sich in der Krise befinden, müssen ab dem 1. Oktober laufend die Zahlungsfähigkeit überprüfen, so Experten.

Der Bundesrat hat die Verlängerung einer Ausnahmeregel für überschuldete Firmen in der Corona-Krise gebilligt. Damit bleibt die Pflicht zum Insolvenzantrag bis zum Jahresende ausgesetzt, allerdings nur für aufgrund der Corona-Krise überschuldete und zugleich noch zahlungsfähige Unternehmen.

 

Um zu verhindern, dass von der Corona-Krise betroffene Unternehmen nur deshalb Insolvenz anmelden müssen, weil die vom Staat beschlossenen Hilfen nicht rechtzeitig bei ihnen ankommen, hatte die Bundesregierung die Insolvenzantragspflicht schon im März, zu Beginn der Krise, bis zum 30. September dieses Jahres ausgesetzt. Diese Regelung galt für all jene Unternehmen, deren Insolvenz auf den Folgen der Krise beruhte. Nun wurde sie mit Einschränkungen verlängert: 

 

Unternehmen, die aufgrund der Corona-Pandemie überschuldet, aber nicht zahlungsunfähig sind, sollen auch weiterhin die Möglichkeit haben, sich unter Inanspruchnahme staatlicher Hilfsangebote oder durch außergerichtliche Verhandlungen zu sanieren und zu finanzieren, teilt der Bundesrat mit. Sie müssen daher vorerst keinen Insolvenzantrag stellen.

Anders sieht es für Unternehmen aus, die nach dem Auslaufen der bisherigen Regelung Ende September akut zahlungsunfähig sind. Sie sollen ab 1. Oktober dieses Jahres wieder verpflichtet sein, einen Insolvenzantrag zu stellen.

„In Deutschland werden typischerweise deutlich über 95 Prozent der Unternehmens-Insolvenzverfahren auf Basis des Insolvenzgrunds der Zahlungsunfähigkeit beantragt und eröffnet“, so Eike Fietz, Experte für Gesellschaftsrecht bei Pinsent Masons, der Kanzlei hinter Out-Law. „Insolvenzeröffnungen alleine wegen Überschuldung finden fast nie statt, die Zahl der Fälle liegt unter einem Prozent. Unternehmen und deren Geschäftsführungsorgane seien also dringend gewarnt: Für die allermeisten von ihnen gilt ab dem 1. Oktober wieder uneingeschränkt das allgemeine Insolvenzrecht.”

Zugleich schaffe die neue Regelung mehr Planungssicherheit, so Dr. Attila Bangha-Szabo, Experte für Insolvenzrecht bei Pinsent Masons: „Geschäftsleiter, deren Unternehmen sich in der Krise befinden, müssen ab dem 1. Oktober laufend die Zahlungsfähigkeit überprüfen, damit der Insolvenzantrag noch rechtzeitig gestellt werden kann. Dafür fällt die komplizierte und aufwändige Pflicht zur Prüfung, ob eine insolvenzrechtliche Überschuldung vorliegt, praktisch weg.“

Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) hatte diese Sonderregelung Anfang September damit begründet, dass bei überschuldeten Unternehmen Chancen bestünden, die Insolvenz dauerhaft abzuwenden, was bei zahlungsunfähigen Unternehmen nicht der Fall sei.

„Unternehmen, die zahlungsunfähig sind, können ihre fälligen Verbindlichkeiten bereits nicht mehr bezahlen. Das bedeutet, dass es diesen Unternehmen nicht in ausreichendem Maße gelungen ist, ihre Finanzlage unter Zuhilfenahme der vielfältigen staatlichen Hilfsangebote zu stabilisieren. Um das erforderliche Vertrauen in den Wirtschaftsverkehr zu erhalten, sollen diese Unternehmen daher nicht in die Verlängerung einbezogen werden“, heißt es auf der Seite des BMJV.

Der Wunsch des Gesetzgebers, weitestgehend zur Rechtslage vor Corona zurückzukehren, erkläre sich damit, dass die Regierung sogenannte „Zombie-Unternehmen“ verhindern wolle, so Fietz. Der Begriff wird seit Beginn der Krise für Unternehmen verwendet, die bereits zahlungsunfähig sind, offiziell aber aufgrund der ausgesetzten Insolvenzantragspflicht als solvent gelten und nach wie vor uneingeschränkt am Geschäftsverkehr teilnehmen. Erst, wenn die Insolvenzantragspflicht wieder greift, würde die wirtschaftliche Notlage solcher Unternehmen offenkundig.

Experten rechnen daher ab Oktober mit einer Insolvenzwelle: „Wir befürchten auf Basis der Gespräche mit unseren Mandanten, dass die Insolvenzwelle vor allem den ‚echten‘ Mittelstand treffen wird. Das sind die Unternehmen, die keine großen Abteilungen beschäftigen, um Subventionen auf systematischer und regelmäßiger Basis zu erlangen, und bei denen die Hilfen in einer Vielzahl von Fällen noch nicht angekommen sein dürften“, so Fietz.

Auch die kürzlich veröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamts geben Anlass zu dieser Prognose: Während die Zahl der angemeldeten Unternehmensinsolvenzen im ersten Halbjahr 2020 verglichen zum Vorjahreszeitraum um 6,2 Prozent zurückging, stiegen die voraussichtlichen Forderungen der Gläubiger aus beantragten Unternehmensinsolvenzen nach Angaben der Amtsgerichte im ersten Halbjahr 2020 auf 16,7 Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr 2019 hatten sie noch bei 10,2 Milliarden Euro gelegen. Der Rückgang der Anzahl von Unternehmensinsolvenzen bei gleichzeitigem Anstieg der Summe der betroffenen Gläubigerforderungen gilt als ein Indikator dafür, dass im Mittelstand und bei Großunternehmen eine stark erhöhte Insolvenzgefahr besteht.

„Diese Verschärfung des Insolvenzrechts wird zwar zu einem deutlichen Anstieg bei Unternehmensinsolvenzen führen. Das Insolvenzverfahren bietet aber interessante Instrumente zur Sanierung und Fortführung von in Schieflage geratener Unternehmen. Das sollte bei der Diskussion über die vielleicht bevorstehende Insolvenzwelle berücksichtigt werden“, so Dr. Bangha-Szabo. „Gesamtwirtschaftlich gesehen ist ein funktionierendes Insolvenzrecht, das die nicht überlebensfähigen Unternehmen vom Markt nimmt, absolut notwendig.“

Das Gesetz, das die neue Ausnahmeregelung enthält, muss nur noch durch den Bundespräsidenten unterzeichnet werden, anschließend wird es im Bundesgesetzblatt verkündet und tritt am Tag darauf in Kraft.

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