Beim gestrigen Corona-Gipfel haben die Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin sich darauf geeinigt, eine Homeoffice-Pflicht einzuführen, die dazu beitragen soll, die Ausbreitung von COVID-19 zu verlangsamen. Insbesondere die neuen Virus-Mutationen, die laut aktuellem Forschungsstand ansteckender sein sollen und das Infektionsgeschehen daher weiter beschleunigen könnten, haben die Regierungschefs zu diesen und anderen Maßnahmen veranlasst, teilte die Bundeskanzlerin mit. Ziel der Homeoffice-Pflicht sei es, Menschen sowohl bei der Arbeit als auch auf dem Arbeitsweg zu schützen und gerade auch das Fahrgastaufkommen im öffentlichen Nahverkehr zu reduzieren.
Wie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) heute bekannt gab, hat sein Ministerium bereits eine entsprechende Verordnung zum Arbeitsschutzgesetz ausgearbeitet, die am 25. Januar in Kraft treten soll. Sie ist vorläufig bis zum 15. März 2021 befristet und sieht vor, dass Arbeitgeber, sofern keine zwingenden betriebsbedingten Gründe dagegensprechen, ihren Beschäftigten Homeoffice anbieten müssen. Beschäftigte werden jedoch nicht dazu verpflichtet, das Angebot anzunehmen. Die Kontrolle der Einhaltung der neuen Verordnung wird in die Zuständigkeit der Arbeitsschutzbehörden fallen, so Heil.
Die Rechtsverordnung wurde bislang noch nicht von der Regierung veröffentlicht, liegt jedoch mehreren Nachrichtenagenturen vor, die ihren Inhalt bereits verbreitet haben.
„Der Entwurf konkretisiert offenbar nicht, was ‚zwingende betriebsbedingte Gründe‘ sein könnten, sodass viel Auslegungsspielraum bleibt und davon auszugehen ist, dass damit einhergehend wohl auch viele Fragen bei Arbeitgebern entstehen werden“, so Sarah Klachin, Expertin für Arbeitsrecht bei Pinsent Masons. „Zwar ist es in der aktuellen Lage absolut sinnvoll, überall da, wo es möglich ist, Arbeitnehmer ins Homeoffice zu schicken. Arbeitgeber sollten dies auch tun und alles daransetzen, Homeoffice, sofern und soweit durchführbar, zu gewähren. Fraglich bleibt aber trotz der Sinnhaftigkeit dennoch weiterhin, ob ein so gravierender Eingriff in die Organisationshoheit von Betrieben und die Rechte von Arbeitgebern über ein Gesetz statt über eine Verordnung hätte erfolgen müssen.“
Weiter teilte Heil mit, dass auch andere Arbeitsschutzbestimmungen über die neue Rechtsverordnung verschärft werden sollen – so sollen größere Mindestabstände vorgeschrieben und die Vorgaben zur Maskenpflicht nachjustiert werden.
Erst zum Jahresbeginn wurde das Arbeitsschutzgesetz durch das Gesetz zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz geändert und eigens für die „epidemische Lagen von nationaler Tragweite“ um eine Verordnungsermächtigung ergänzt. Seither ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) befugt, auch ohne Zustimmung des Bundesrates spezielle befristete Rechtsverordnungen zu erlassen, die den Arbeitgebern vorschreiben, welche Maßnahmen sie zu treffen haben.
„Auch wenn das Homeoffice-Gebot in der jetzigen Zeit zweckmäßig scheint, wird eine kurzfristige praktische Umsetzung dennoch eine Herausforderung, insbesondere wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht einig darüber sind, ob ‚zwingende betriebsbedingte Gründe‘ vorliegen oder nicht“, so Kathrin Brügger, Expertin für Arbeitsrecht bei Pinsent Masons. „Wer hat dahingehend die Beweispflicht? Kann der Arbeitnehmer in einer solchen Situation seine Arbeitsleistung verweigern, wenn der Arbeitgeber ihm das Homeoffice verbietet? Und wie geht man mit den generellen mit der Homeoffice-Nutzung in Verbindung stehenden Fragen der Arbeitsplatzausstattung, Datenschutz und Kostentragung um? Es bleibt abzuwarten, ob Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen gemeinsamen praxisorientieren Ansatz wählen oder ob man sich bald vor Gericht über die konkrete Definition der ‚zwingenden betriebsbedingten Gründe‘ streitet.“
Einen Antrag für eine ähnliche Regelung, wie sie nun vom BMAS vorgestellt wurde, hatte zuvor auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unter dem Titel „Homeoffice-Gebot in der Pandemie konsequent durchsetzen“ in den Bundestag eingebracht, er wurde in der vergangenen Woche beraten und stieß auf heftige Kritik bei anderen Fraktionen. Letztlich wurde er zur weiteren Beratung in den federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen.
Die jüngsten Beschlüsse sind laut Heil getrennt von einem generellen „Recht auf Homeoffice“ zu betrachten – einem Vorhaben, das im vergangenen Jahr von seinem Ministerium vorangetrieben wurde, dann aber an zu wenig Rückhalt in der Union gescheitert war. Vor wenigen Tagen hat das BMAS einen neuen Referentenentwurf zu diesem Thema vorgelegt, in dem aber kein Rechtsanspruch auf Homeoffice mehr vorgesehen ist, sondern lediglich eine Pflicht des Arbeitgebers, die Möglichkeit von mobilem Arbeiten auf Anfrage des Arbeitnehmers hin mit ihm zu erörtern.
Out-Law Analysis
19 Jan 2021