Out-Law Analysis Lesedauer: 3 Min.
18 Oct 2021, 1:51 pm
Anfangs waren die Autobauer besonders stark betroffen, nun wird es auch für andere Branchen wie die Telekommunikations- und Unterhaltungsindustrie eng: Computerchips sind weltweit Mangelware. Das wirkt sich auf die Produktion und den Umsatz zahlloser Unternehmen und ihrer Zulieferer aus.
Autos, Smartphones, Fernseher, Spielekonsolen, Computer, Baumaschinen, Telekommunikationsgeräte und Fertigungsanlagen – zahllose Geräte, die unseren Alltag bestimmen und begleiten, funktionieren nicht ohne Computerchips und deren wichtigstes Grundmaterial, die Halbleiter. Doch Chips sind derzeit weltweit Mangelware, und die Krise ist noch lange nicht überwunden. Im Gegenteil: Weitere Faktoren scheinen den Engpass noch zu verschärfen.
Experten zufolge sind die Ursachen für die Chip-Knappheit vielseitig: Die Halbleiterindustrie war aufgrund von COVID-19 von Produktionsausfällen betroffen, zugleich stieg während der Pandemie die Nachfrage nach Elektronik-Produkten, für die Chips benötigt werden. Zudem wurden einige internationale Werke von Erdbeben oder Bränden getroffen und der Handelsstreit zwischen den USA und China führte zu Hamsterkäufen und zusätzlicher Knappheit auf dem Markt. Die EU-Kommission will nun die Chipproduktion in Europa ankurbeln, um in Zukunft weniger abhängig von globalen Lieferketten zu sein.
Nun zeichnet sich allerdings ab, dass die Strompolitik Chinas die Chip-Krise noch verstärken könnte: Um ihre Klimaziele zu erreichen, will die chinesische Regierung den Stromverbrauch des Landes reduzieren, während gleichzeitig der Strombedarf der Industrie steigt. Da viele Provinzen ihre Stromverbrauchsziele bislang nicht einhielten, steigt nun der politische Druck aus Peking. Dies, aber auch weitere Faktoren wie der Anstieg des Kohlepreises oder Ausfällen von Windenergie-Anlagen in China, haben dazu geführt, dass die chinesische Industrie nun vielerorts mit Einschränkungen bei der Stromversorgung, Stromausfällen oder gezielten Stromabschaltungen sowie stark schwankenden Strompreisen zu kämpfen hat. Laut Medienberichten mussten Zulieferer von Tesla und Apple ihre Produktion bereits unterbrechen, was im Falle von Apple zur Herabsetzung der Produktionsziele des neuen iPhone 13 geführt haben soll.
Schon seit Längerem kommt es Aufgrund von Lieferengpässen auch bei mehreren deutschen Autobauern zu Produktionsausfällen, Mitarbeiter mussten wiederholt in Kurzarbeit geschickt werden – und das trotz voller Auftragsbücher. Insbesondere die Produktion von Elektroautos ist von der Chip-Krise betroffen. Und auch im Einzelhandel wird der Chip-Mangel zunehmend spürbar: In einer Umfrage des Instituts für Wirtschaftsforschung gaben 97 Prozent der befragten Einzelhändler im Bereich Unterhaltungselektronik an, dass die Knappheit bei Chips und Halbleitern dazu führe, dass nicht jedes Produkt sofort verfügbar sei. Das könnte sich auch auf das Weihnachtsgeschäft auswirken.
In Reaktion auf diese Entwicklungen hat die Vereinigung europäischer Halbleiterhersteller ESIA die EU und ihre Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre Projekte zur Förderung der europäischen Chipindustrie zu beschleunigen. Staaten wie die USA oder Südkorea haben laut der ESIA bereits Förderprogramme gestartet, während die EU Gefahr laufe, den Anschluss zu verpassen. Bis solche Fördermaßnahme Früchte tragen, dürfte es allerdings noch dauern – schließlich braucht es Jahre, neue Fabriken zu bauen.
Derweil wirft der Chipmangel nicht zuletzt auch eine Reihe juristischer Fragen auf: Sowohl Zulieferer als auch Produzenten und Besteller stehen vor der Frage, ob es sich bei der Chipkrise um einen Fall von höherer Gewalt (Force Majeure) handelt, sodass gegebenenfalls vereinbarte Force-Majeure-Klauseln Lieferanten von ihrer vertraglichen Pflichten entbinden könnten.
Bei Force-Majeure-Klauseln handelt es sich um Vertragsklauseln, die die Pflichten oder die Haftung der Vertragsparteien ändern, wenn ein außergewöhnliches Ereignis oder ein Umstand, der sich ihrer Kontrolle entzieht, eine Partei oder alle Parteien an der Erfüllung ihrer Vertragspflichten hindert.
Je nach Formulierung können solche Klauseln unterschiedliche Voraussetzungen und Folgen haben. Sie können die betroffene Partei beispielsweise ganz oder teilweise von der Vertragserfüllung und der Haftung für Schäden, die durch Lieferausfälle entstehen, entbinden. Somit kommt es bei der Frage, ob ein Lieferant für Schäden durch Lieferengpässe und -ausfälle haftet, nicht nur darauf an, ob es sich bei der Chip-Krise um einen Fall von Force Majeure handelt, sondern auch darauf, was genau der geschlossene Vertrag in so einem Fall vorsieht.
Eine weitere wesentliche Frage ist die, ob der Lieferant selbst entscheiden kann, welche Kunden er mit den noch verfügbaren Chips beliefert und welche nicht. Falls ja, auf welche Kriterien müsste er diese Entscheidung stützen? Spielen beispielsweise die Branche des Kunden, der Zeitpunkt des Auftragseingangs, der Umfang des Auftrags oder die mögliche Höhe des Schadensersatzes, den der Lieferant bei ausbleibender Lieferung zahlen müsste, eine Rolle?
Falls der Lieferant trotz Halbleiterkrise weiterhin liefert, stellt sich zudem die Frage, ob er bei den belieferten Kunden die Zusatzkosten, die ihm durch die Krise entstanden sind, in Rechnung stellen darf, wie etwa höhere Fracht- oder Deckungskaufkosten.
Während die Industrie mit all diesen Fragen und Herausforderungen zu kämpfen hat, plant die Politik die nächsten Schritte auf dem Weg zu Digitalisierung des Gesundheits- und Bildungssystems sowie der Verwaltung und die Elektrifizierung und Automatisierung des Straßenverkehrs. Offen bleibt jedoch, wo die Chips für all die dafür nötigen neuen Geräte und Maschinen herkommen sollen. Experten rechnen damit, dass die Chip-Knappheit in den kommenden Monaten ihren Höhepunkt erreichen und sich bis ins Jahr 2023 hinziehen wird.