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Arbeitsgericht Emden bejaht erneut Pflicht des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung


Das Arbeitsgericht Emden nimmt durch ein kürzlich gefälltes Urteil erneut eine Pflicht des Arbeitgebers zur Umsetzung der Anforderungen aus dem Urteil des EuGH an Arbeitszeiterfassungssysteme an und spricht einer Arbeitnehmerin eine Vergütung geleisteter Überstunden in Höhe von circa 20.000 Euro zuzüglich Zinsen zu.

Vor gut eineinhalb Jahren wurde durch eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 14. Mai 2019 eine große Debatte um die Pflicht von Arbeitgebern zur täglichen Arbeitszeiterfassung angestoßen. Mit seiner Grundsatzentscheidung verpflichtete der EuGH die Mitgliedstaaten dazu, Arbeitgebern aufzugeben, durch die Einrichtung eines „objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems“ die Arbeitszeiterfassung ihrer Arbeitnehmer sicherzustellen. Seither wartet man darauf, dass der Gesetzgeber infolge der Entscheidung des EuGH zu den in diesem Urteil aufgestellten Anforderungen zur Arbeitszeiterfassung Position bezieht beziehungsweise tätig wird – bisher vergeblich.

Mit Urteil vom 24. September 2020 (Aktenzeichen 2 Ca 144/20) nahm nun das Arbeitsgericht Emden (ArbG Emden) als bisher einziges Gericht schon zum zweiten Mal die Sache selbst in die Hand und entschied, dass basierend auf der Entscheidung des EuGH die Darlegungs- und Beweislast der Parteien im Streit um Überstunden zu ändern ist.

Bereits Anfang diesen Jahres erregte das Arbeitsgericht Emden durch sein Urteil vom 20. Februar 2020 (Aktenzeichen 2 Ca 94/19 ), das in Rechtskraft erwachsen ist, Aufsehen, in dem es eine bereits gegenwärtig bestehende unmittelbare Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einrichtung eines Arbeitszeiterfassungssystems, das den Anforderungen aus dem EuGH-Urteil entspricht, annahm und damit den Gesetzgeber sozusagen überholte. In dem im Februar ergangenen Urteil ging es allerdings „nur“ um wenige hundert Euro, im Gegensatz hierzu sprach das Arbeitsgericht Emden in seiner aktuellen Entscheidung einer Arbeitnehmerin eine Vergütung für von ihr geleistete Überstunden in Höhe von rund 20.000 Euro plus Zinsen zu.

Damit zieht das ArbG Emden die Inhalte des EuGH-Urteils, die maßgeblich auf Gründen des Schutzes der Sicherheit und Gesundheit sowie der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer basieren, erneut auf die Ebene der Vergütungsansprüche von Arbeitnehmern.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eine ehemalige kaufmännische Angestellte machte nach ihrer Eigenkündigung die Vergütung von Überstunden im Umfang von 1.001 Stunden und 9 Minuten geltend und legte entsprechende Aufstellungen vor. Ihr früherer Arbeitgeber war der Ansicht, die Überstunden seien nicht von ihm veranlasst und insbesondere auch nicht von ihm geduldet worden und lehnte daher eine Vergütungspflicht ab. Zwischen den beiden Parteien war Vertrauensarbeitszeit vereinbart. Die geleistete Arbeitszeit wurde über eine vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Software mit „Kommt“, „Geht“ und „Pausen“-Zeiten erfasst.

Das Arbeitsgericht Emden gab der Vergütungsklage statt. Seine Entscheidung begründet das Gericht damit, dass der Arbeitgeber die Überstunden geduldet habe und die arbeitgeberseitige Veranlassung nicht hinreichend habe bestreiten können.

Der Arbeitnehmer trägt nach den allgemeinen Regeln für die Voraussetzungen der Überstundenvergütung im Grundsatz die Darlegungs- und Beweislast. Die Prüfung, ob geltend gemachte Überstunden zu vergüten sind, ist dabei in zwei Stufen vorzunehmen.

Hierbei gilt eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast für den Arbeitnehmer. Auf einer ersten Stufe ist vom Arbeitnehmer darzulegen, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeitsleistung erbracht hat. Auf einer zweiten Stufe ist sodann zu prüfen, ob die Überstunden dem Arbeitgeber zugerechnet werden können beziehungsweise ob diese Überstunden vom Arbeitgeber veranlasst worden sind. Voraussetzung hierfür ist eine Anordnung, Duldung, Billigung oder auch die Notwendigkeit zur Erledigung der Überstunden für die geschuldete Arbeit.

Für die Annahme einer Zurechnung aufgrund einer Duldung der Überstunden durch den Arbeitgeber, wie im vorliegenden Fall von der Klägerin geltend gemacht, fordert das Bundesarbeitsgericht bisher die positive Kenntnis des Arbeitgebers von den Überstunden. Dazu muss der Arbeitnehmer darlegen und beweisen, von welchen wann geleisteten Überstunden der Arbeitgeber auf welche Weise wann tatsächliche (positive) Kenntnis erlangt hat und es sodann zu einer weiteren Ableistung von Überstunden kam. Diese Darlegung bereitet dem Arbeitnehmer in der Praxis oft Schwierigkeiten. Erst wenn das feststeht, ist es Sache des Arbeitgebers, darzulegen, welche Maßnahmen er zur Unterbindung der von ihm nicht gewollten Überstundenleistung ergriffen hat.

Das Arbeitsgericht Emden geht dagegen nun in seinem Urteil davon aus, dass gerade diese vom Bundesarbeitsgericht geforderte tatsächliche positive Kenntnis als Voraussetzung der Annahme einer Duldung von Überstunden durch den Arbeitgeber aufgrund des ergangenen EuGH-Urteils nicht mehr erforderlich ist, wenn der Arbeitgeber sich die Kenntnis der Arbeitszeiten des Arbeitnehmers durch Einsichtnahme in die Arbeitszeiterfassung, zu deren Einführung und Überwachung beziehungsweise Kontrolle der Arbeitgeber verpflichtet ist, hätte verschaffen können, ihm also eine Kenntnisnahme möglich war. Letztlich genüge also die Möglichkeit zur Kenntnisnahme für den Arbeitgeber, eine positive Kenntnis sei nicht mehr erforderlich.

Die bereits gegenwärtig angenommene Verpflichtung des Arbeitgebers zu einer Messung, Aufzeichnung und Kontrolle der Arbeitszeiten der Arbeitnehmer ergebe sich nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils aus einer europarechtskonformen Auslegung von Paragraf 618 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Zudem führt das ArbG Emden aus, dass die aus Artikel 31 Absatz 2 der Grundrechtecharta in Verbindung mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie folgende Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Arbeitszeiterfassung jedenfalls hilfsweise als vertragliche Nebenpflicht im Sinne des Paragrafen 241 Absatz 2 BGB zu klassifizieren sei.

Eine Verpflichtung zur europarechts- beziehungsweise richtlinienkonformen Auslegung der genannten Vorschriften des nationalen Arbeitsrechts bestehe dabei unabhängig davon, ob möglicherweise – zusätzlich – eine Pflicht des deutschen Gesetzgebers bestehe, Änderungen der nationalen Vorschriften aufgrund des EuGH-Urteils vorzunehmen.

Auch wenn die zweite Entscheidung des ArbG Emden (wie auch die erste Entscheidung) inhaltlich unseres Erachtens nicht überzeugt, zeigt sie dennoch, dass eine fehlende Aufzeichnung und insbesondere Kontrolle geleisteter Arbeitszeiten auch schon jetzt mit Risiken für Arbeitgeber verbunden ist.

Soweit bis heute ersichtlich, ist die Entscheidung des ArbG Emden vom 24. September 2020 noch nicht rechtskräftig, so dass abzuwarten ist, wie gegebenenfalls ein Gericht zweiter Instanz hierüber entscheiden wird. Auch ist offen, ob andere Gerichte der Ansicht des ArbG Emden folgen werden. Die Entwicklung sollte durch Arbeitgeber aber definitiv weiter beobachtet werden, da davon auszugehen ist, dass sich Arbeitnehmer in etwaigen Prozessen um Überstundenvergütung vermehrt auf die Ansicht des ArbG Emden stützen werden.

Zwar geht die herrschende Meinung in der Literatur davon aus, dass ohne eine entsprechende Umsetzung des EuGH-Urteils durch den deutschen Gesetzgeber keine Pflicht von Arbeitgebern zur Umsetzung von eben diesem bestehen kann. Dennoch sollten Arbeitgeber sich schon jetzt entsprechend mit ihren Arbeitszeiterfassungssystemen und gerade auch der Sicherstellung einer regelmäßigen Kontrolle dieser befassen und insbesondere überprüfen, ob ihre Zeiterfassungssysteme den Anforderungen aus dem Urteil des EuGH zumindest im Ansatz genügen. Tun sie dies nicht, können im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen von eingeklagter Überstundenvergütung zumindest mittelbare Nachteile drohen.

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